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Warum wir weniger arbeiten sollten

Die viele Arbeit stresst uns und macht manche krank. Der Konsum im Übermass macht uns nicht glücklich und die Umwelt kaputt. Dabei hätten wir auch mit viel weniger Wohlstand mehr als genug für ein gutes Leben, findet der Sozialanthropologe James Suzman von der Cambridge University. Er plädiert, mit Blick auf unsere steinzeitlichen Vorfahren, dafür, uns von der Wachstumsideologie zu verabschieden.

Der Ökonom John Maynard Keynes machte 1930, mitten in der Weltwirtschaftskrise, eine damals ungeheuerliche Voraussage: Er prophezeite, dass unser Wohlstandsniveau in hundert Jahren (also im Jahr 2030) vier bis acht Mal höher sein würde und wir nur noch 15 Stunden in der Woche arbeiten würden. Keynes’ Voraussage beruhte auf der Annahme, dass die Menschen sich mehr Freizeit gönnen würden, sobald sie sich genügend Wohlstand erarbeitet hätten, um die Grundbedürfnisse abzudecken. Diesen Wohlstand haben wir, zumindest in der westlichen Welt, längstens. Warum aber sind wir von der 15-Stunden-Woche meilenweit entfernt und werden es wohl auch 2030 noch sein?

James Suzman ist Anthropologe und Direktor des Thintanks Anthropos und Fellow am Robinson College der Cambridge University. Er hat das Buch «Sie nannten es Arbeit» geschrieben. Es ist eine «Geschichte der Arbeit», aber eine andere, als sie bisher erzählt wurde. Suzman treibt die Frage um, wie und warum wir in einem Gesellschaftsmodell gelandet sind, in dem Arbeit, Wirtschaftswachstum und Konsum im Zentrum stehen – und wie wir, für ein besseres Leben in einer intakten Umwelt, davon Abschied nehmen könnten. Dazu blendet er weit in die Geschichte der Menschheit zurück.

Jäger und Sammler: Überfluss statt Knappheit

Wir modernen Menschen stellen uns vor, dass das Leben in der Steinzeit brutal hart und äusserst kurz gewesen sein muss. James Suzman widerspricht dieser Vorstellung vehement. Wie die Forschungen an steinzeitlichen archäologischen Grabungsstätten sowie bei den im 20. Jahrhundert noch existierenden Jäger-und-Sammlergesellschaften zeigten, sei deren Leben durchaus angenehm gewesen – vielleicht sogar angenehmer als unseres. Natürlich war das Durchschnittsalter aufgrund der höheren Kindersterblichkeit tiefer als heute bei uns, wer aber erwachsen wurde, hatte gemäss den Ethnologen und Biodemografen Michael Gurven und Hillard Kaplan durchaus eine Lebenserwartung von sechs bis acht Jahrzehnten! Hunger leiden mussten die Urzeitmenschen, wie Funde an deren Niederlassungsorten belegen, kaum. Sie konnten ihren Tisch vor allem mit gejagten Wasser- und Landtieren reich decken.

Dies galt auch für das Volk Ju/’Hoansi, das bis in die moderne Zeit als Jäger-und-Sammler-Gesellschaft im Kalahari-Gebiet lebte. Obwohl sie in einem recht dürren Landstrich umherzog, schaffte es diese Gemeinschaft, knapp zehn Prozent mehr Kalorien zu sich zu nehmen, als der empfohlenen Kalorienmenge entsprach. Noch erstaunlicher ist die Tatsache, dass die wirtschaftlich aktiven Erwachsenen für die Nahrungsbeschaffung nur gerade 17 Wochenstunden aufbringen mussten. Dazu kamen weitere 20 Wochenstunden für Arbeiten wie Kochen, Feuerholz sammeln, Behausungen herrichten oder Werkzeuge herstellen und reparieren. Das sind laut James Suzman «nicht einmal die Hälfte der Stunden, die ein durchschnittlicher amerikanischer Arbeiter oder Angestellter für seine Erwerbsarbeit und seine häuslichen Pflichten aufwendet». Die Ju/’Hoansi hatten also ganz schön viel Freizeit! Dies aber natürlich nur, weil sie sehr bescheidene materielle Ansprüche hatten. Dadurch belasteten sie ihre Umwelt sehr gering. Für James Suzman ist die Wirtschaftsform Jagen und Sammeln denn auch die «mit Abstand nachhaltigste, die Menschen im Verlauf der Entwicklungsgeschichte unserer Spezies erfunden haben».

Der amerikanische Anthropologe Marshall Sahlins kam nach dem Studium von Jäger-und-Sammler-Gesellschaften zu einem aus ökonomischer Sicht interessanten Schluss: «In vielen Jäger-und-Sammler-Gesellschaften – und womöglich in allen menschlichen Gemeinschaften während des grössten Teils der Menschheitsgeschichte – war Knappheit nicht das Organisationsprinzip des menschlichen Wirtschaftens» (zitiert nach Suzman). Die Knappheit muss also später zum Treiber der ganzen Wirtschaft geworden sein.

Mit dem Ackerbau kommt der Hunger

«Lange wollte die Wissenschaft den Übergang zur Landwirtschaft als grossen Sprung für die Menschheit verkaufen und erzählte uns eine Geschichte von Fortschritt und Intelligenz. Das ist jedoch ein Ammenmärchen.» Dies schreibt der Historiker und Zukunftsforscher Yuval Harari von der Hebräischen Universität Jerusalem in seinem Bestseller «Eine kurze Geschichte der Menschheit». Die Landwirtschaft läutete aus seiner Sicht erst einmal eine Ära von Krankheiten, Mangelernährung und mehr Arbeit ein. «Je produktiver landwirtschaftlich geprägte Gesellschaften wurden und je mehr Energie sie ihrer Umwelt abzapften, desto mehr Arbeit mussten die Menschen offenbar leisten, um ihre Grundbedürfnisse zu decken», stellt auch der Anthropologe Suzman fest. Er erklärt den Umstand damit, dass der ganze durch höhere Arbeitsintensität, bessere Technologie, Tierhaltung und bessere Feldfrüchte erreichte Fortschritt laufend aufgefressen wurde durch das Bevölkerungswachstum.

Menschen und Tiere lebten nun immer mehr aufeinander, der Speiseplan wurde karger. Dies begünstigte Krankheiten und Seuchen und führte nicht zuletzt zu Kriegen und Ausbeutung (Sklavenhaltung, Kinderarbeit, später überlange Arbeitszeiten und gesundheitsschädigende Arbeit in der Industrie). Die Lebenserwartung sank trotz aller Fortschritte, Seuchen rafften ganze Landstriche dahin.

Dennoch soll nicht unerwähnt bleiben: Als Jäger und Sammler hätten wir kaum das Smartphone erfunden und wären auch nicht zum Mond geflogen. Letztlich haben wir es geschafft, uns den Wohlstand und Überfluss zu erschaffen, der es uns erlauben würde, nur noch die von Keynes postulierten 15 Stunden zu arbeiten.

Fixierung auf Wirtschaftswachstum

Warum tun wir es nicht? Der Historiker Robert Skidelsky erlärt sich Keynes’ Fehlprognose in einem auf der Website der Credit Suisse publizierten Interview so: «Keynes unterschätzte die Unersättlichkeit der menschlichen Konsumwünsche und den kompetitiven Konsum: Die Leute wollen nicht einfach genug haben, sie wollen häufig mehr als die anderen. Und schliesslich unterschätzte er wohl auch die Macht der Werbung, die diese Wünsche noch zusätzlich anheizt. Wir leben nun einmal in einer Konsumkultur, sie ist der Kern der westlichen Wirtschaften.»

Was hat zu diesem Gesellschaftsmodell geführt? James Suzman betont die wichtige Rolle, die die Bildung von Städten dabei spielte: «Seit die Menschen begonnen haben, sich in Städten zu sammeln, hat eine bestimmte Art von Anspruchsdenken ihr Streben geprägt, das sich von dem der Subsistenzbauern auf dem Land unterscheidet.» Die von den Ökonomen postulierte Knappheit artikuliere sich nun mehr in Begrifflichkeiten wie Neid, Eifersucht und Verlangen, als dass sie auf wirkliche Bedürftigkeit fusse. «Für die meisten von uns ist es dieser relative Mangel, der uns anspornt, lange Stunden zu arbeiten, um auf der sozialen Sprossenleiter nach oben klettern und mit den Schulzes nebenan mithalten zu können.» Wir Menschen sind offenbar unersättlich. Wenn aber die Wirtschaft stetig wächst, dann kann es uns gelingen, die ebenso stetig steigenden Ansprüche zu befriedigen – nach dieser Logik scheint unsere Gesellschaft zu funktionieren.

Wir sind, so findet Suzman, auf dieses Wirtschaftswachstum fixiert und können uns keine Welt ohne vorstellen. Dabei profitieren die Menschen sehr ungleich vom Wohlstand, den dieses Wachstum unzweifelhaft schafft. Die Schere bei den Vermögen öffnet sich munter weiter und die Löhne bemessen sich nicht unbedingt an dem Beitrag, den ein*e Brufstätige*r für die Menschheit leistet (Pflegende oder Lehrer*innen verdienen z.B. deutlich schlechter als Vermögensverwalter*innen). Auch die Coronakrise trifft die ärmeren Bevölkerungsschichten, hart und langfristig, während die ganz Reichen bereits davon profitieren, wie die Wirtschaftssoziologin Brooke Harrington kürzlich in einem Interview im «Magazin» festgestellt hat.

Dass wir uns nicht von der Wachstumsideologie lösen können, erklärt James Suzman unter anderem damit, dass wir der Illusion aufsitzen, wir könnten es bis ganz nach oben schaffen. Dies lasse sich mit «der Vorstellung erklären, es gebe eine selbstredende ‘meritokratische’ Entsprechung zwischen Wohlstand und harter Arbeit». Die Reichen würden sich gerne dem Glauben hingeben, sie «hätten die ihnen zufallenden finanziellen Belohnungen redlich verdient». Die Ärmeren wollten sich «nicht den Traum zerstören lassen, auch sie könnten einmal solche Reichtümer erlangen, wenn sie nur lange genug fleissig arbeiteten».

Der Zeitpunkt ist jetzt

John Maynard Keynes wusste noch nichts von der gewaltigen Zerstörung der Umwelt, die der Mensch verursachen würde, als er 1930 den Traum der 15-Stunden-Woche formulierte. Die drohende Klimakrise kann jetzt der Anlass sein, die Wachstumsideologie zu hinterfragen und uns von ihr zu verabschieden. Für James Suzman ist es «ohne weiteres denkbar, dass wir auf dem Weg sind, Keynes’ Utopie zu verwirklichen». Wir seien entweder kurz davor, eine kritische Schwelle zu überschreiten, ab der sich alles ändern werde, oder aber wir seien so sehr in den täglichen Trubel eingespannt, dass wir uns schwertäten zu erkennen, wohin die Reise gehe. «Das Problem ist freilich, dass wir uns den Luxus, abzuwarten, bis wir es wissen, nicht mehr leisten können.»

Der Anthropologe ist ein Stück weit optimistisch, dass es gelingen kann. Wir Menschen seien sehr anpassungsfähig (was wir in der Coronapandemie ja gerade bewiesen haben).

Konkrete Vorschläge für ein andere Gesellschaftsmodell macht James Suzman in seinem Buch keine, er erwähnt aber einige Massnahmen, die zu einem besseren Modell führen könnten. So ein bedingungsloses Grundeinkommen, eine höhere Besteuerung der Vermögen zugunsten der Besteuerung der Einkommen oder Rechte für Ökosysteme und Lebensräume. Es braucht also keine Revolution, aber die Chance für ein menschen- und umweltfreundlicheres Gesellschaftsmodell sollten wir packen!

Hansjörg Schmid

 

 

Donnerstag, 26. Aug 2021

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