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Das Online-Magazin der Angestellten Schweiz

Sind wir bald alle cyberkrank?

Ginge es nach Manfred Spitzer, würden wir Computer und Internet am besten aus den Kinderzimmern und Schulen verbannen.

 

Er hat Medizin, Philosophie und Psychologie studiert und er hat einen Professoren- sowie zwei Doktortitel. Manfred Spitzer ist zweifellos ein gelehrter Mann. Sein riesiges Wissen setzt er, neben seiner Tätigkeit Psychiatrie-Professor und Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm, vor allem für eines ein: um zu warnen. Er warnt mit Büchern und Vorträgen unermüdlich vor den schädlichen Wirkungen der digitalen Medien auf unserer Gesundheit. Im Juni sprach er auf Einladung des Kaufmännischen Verbands im Kaufleuten in Zürich.

„Was den Erwachsenen die Arbeit erleichtert, ist nicht das beste Spielzeug für unsere Kinder.“ Mit diesen Worten begann Manfred Spitzer seine Fundamentalkritik an den Cybermedien. Das fange damit an, dass uns der stete starre Blick auf Bildschirme kurzsichtig mache und uns den Schlaf raube. Tatsächlich brachten Studien an den Tag, dass junge Menschen immer kurzsichtiger werden. Besonders krass ist dies in Südkorea zu beobachten, wo mehr als in anderen Ländern auf Bildschirme gestiert wird. Auch die Störung des Schlafs lässt sich belegen. Bildschirme produzieren, wie das Tageslicht, sehr viel blaues Licht. Glotzen wir abends auf einen Bildschirm statt in ein Buch, dann glaubt das Gehirn, es wäre noch Tag. Mit der Folge, dass wir Einschlafprobleme haben, wenn wir uns zu Bett legen. Gemäss Spitzer fehlen 90 bis 95 Prozent der Schüler ein bis zwei Stunden Schlaf pro Nacht.

Multitasking senkt die Leistung

Auch beim nächsten Kritikpunkt kann man Manfred Spitzer schlecht widersprechen. Dass Smartphones stressen können, haben wir alle schon erfahren. Die stetige Erreichbarkeit über alle Kanäle ist oft mehr Last als Entlastung. Manche Menschen werden sogar süchtig nach dem Smartphone oder können sich nicht von Games losreissen, die sie darauf spielen. Ja Spitzer geht sogar so weit zu sagen, dass Smartphones unglücklich machen.

Der Psychiater ist überzeugt, dass die Schulnoten besser werden, wenn den Schülern die Handys verboten werden. Das hätten Studien unzweifelhaft bewiesen. Bei schlechten Schülern sei der Effekt sogar noch ausgeprägter. Der Grund ist gemäss Spitzer einfach: „Multitasking kann keiner“. Multitasker seien schlechter als andere im Lösen von Aufgaben. Das zeige sich zum Beispiel schon daran, dass Mitschreiben bei einem Vortrag besser sei als mittippen. (Das entspricht ganz der Erfahrung des Autors dieser Zeilen. Er hat von Spitzers Vortrag deshalb handschriftliche Notizen gemacht.) Spitzer fordert, das Multitasking am besten einfach bleiben zu lassen.

Wenn Schüler für einen Vortrag oder eine Arbeit ein Thema recherchieren, ermuntern Lehrer die Schüler heutzutage immer öfter, mittels Google im Internet zu suchen. Manfred Spitzer findet das kreuzfalsch. Google sei besonders schlecht, wenn man zu einem Thema nichts oder nur wenig wisse. Dann könne man die Ergebnisse gar nicht einordnen. Er belegte dies mit einem einfachen Beispiel. Wenn man „Kopfweh“ google, finde man eine Unmenge von möglichen Ursachen. Ziemlich rasch stosse man zum Beispiel auf einen Hirntumor. Hirntumore seien aber sehr selten, die weitaus häufigste Ursache für Kopfweh sei, dass jemand weniger Koffein als üblich konsumiert habe. Spitzer empfiehlt darum, Google höchstens zu benutzen, um Zusatzinformationen zu suchen. Ansonsten soll man Zeitungen oder Bücher als Quellen benutzen.

Die Welt steht noch

Wer nach einem Vortrag von Manfred Spitzer wieder in die Welt hinausgeht, ist erst mal erstaunt, dass sie nicht untergegangen ist oder mindestens ihre Einwohner total verblödet sind. Der Professor hat denn auch seine Kritiker, vor allem in pädagogischen Kreisen. Beat Döbeli, Professor an der Pädagogischen Hochschule Schwyz, attestiert ihm gemäss Wikipedia „eine tendenziöse Beschreibung bestimmter Sachverhalte und ein selektives, sinnverzerrendes Zitieren aus wissenschaftlichen Studien“. Seine polemische Darstellung sei wenig hilfreich. Die deutsche Website „lehrerfreund.de“ schreibt, es sei „völlig gleichgültig“, ob er mit seiner Kritik Recht habe, es gebe „kein Leben ohne digitale Medien mehr“. Bei Digital Natives der Generation Y, wie Philipp Riederle, Autor des Buchs „Wer wir sind und was wir wollen“, kommt Spitzers Kritik befremdlich an (vgl. den Beitrag „Die Welt der Digital Natives“). Aufgewachsen mit digitalen Medien kann er sie schlicht nicht nachvollziehen. Dirk von Gehlen, Leiter Social Media/Innovation bei der Süddeutschen Zeitung, wirft Spitzer „ein Unwohlsein mit der Gegenwart, das keineswegs mit technologischem Fortschritt zu tun hat, sondern einzig mit der Überhöhung dessen, was man kennt“ vor (zitiert nach Wikipedia).

Auch wenn er weit über das Ziel hinausschiessen mag, hat Manfred Spitzer in vielem schon Recht. Der Umgang mit digitalen Medien stellt gerade Schulen vor grosse Herausforderungen, die man ernst nehmen muss. Vielleicht ist die „wichtigste Medienkompetenz“ tatsächlich, wie Spitzer zum Schluss seines kurzweiligen Vortrags sagte, „wissen, wo der Aus-Knopf ist“.

Hansjörg Schmid

Freitag, 29. Jul 2016

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Buchtipp

Das Buch „Cyberkrank“ führt aus, was Manfred Spitzer im Vortrag angesprochen hatte. Er will damit aufzeigen, wie die digitalen Medien und das Internet den Menschen und die Gesellschaft verändern. Manfred Spitzer, Cyberkrank, Droemer Knaur.