Psychischen Erkrankungen vorbeugen – je früher, desto besser
Bereits wie die Schwangerschaft und die frühe Kindheit erlebt wird, hat einen wesentlichen Einfluss auf die psychische Gesundheit im späteren Leben. Erfahre in diesem Artikel, welchen Gefahren für die Psyche Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind und wie sie davor geschützt werden können.

Depressionen und Angststörungen werden gemäss WHO bis 2030 weltweit die häufigsten Ursachen für Tod und chronische Erkrankung sein.
Eine Studie von WorkMed im Auftrag der Krankenkasse Swica weist darauf hin, dass Krankschreibungen aus psychischen Gründen immer häufiger auftreten. Arbeitsunfähigkeiten aus psychischen Gründen dauern mit durchschnittlich 218 Tagen zudem deutlich länger als solche aus somatischen Gründen (154 Tage).
Die unter Schüler*innen zwischen 11 und 15 regelmässig international durchgeführte Studie «Health Behaviour in School-aged Children» (HBSC, Gesundheitsverhalten von Schulkindern) zeigt für die Schweiz auf, dass zwar ein hoher Anteil der Jugendlichen ihren Gesundheitszustand als gut bis ausgezeichnet einschätzt (2018: 88,5%), aber doch über 10% als nur einigermassen gut und 1% als schlecht. Bei den Beschwerden fällt auf, dass chronische psychoaffektive Beschwerden wie Müdigkeit, Gereiztheit, Einschlafschwierigkeiten, Traurigkeit, Wut oder Nervosität deutlich öfter genannt werden als physische Beschwerden wie Rücken- oder Kopfschmerzen. Diverse dieser psychoaffektiven Beschwerden weisen zudem eine zunehmende Tendenz auf. Auffällig ist, dass Mädchen deutlich betroffener sind als Jungen.
Von der Coronapandemie waren die Jugendlichen besonders betroffen. Vieles deutet darauf hin, dass sich dies auf ihre psychische Gesundheit auswirkt.
Diese Entwicklungen sind dramatisch. Um sie zu stoppen und umzukehren, muss die Prävention verstärkt werden. Sie muss so früh wie möglich einsetzen, denn «die frühe Kindheit beeinflusst die gesundheitliche Verfassung bis ins Erwachsenenleben», schreibt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf seiner Website. Und weiter: «Das Gesundheitsverhalten der Mutter während der Schwangerschaft sowie frühkindliche Prägungen können nichtübertragbare Krankheiten im späteren Leben verhindern, oder aber begünstigen.» Das BAG kommt darum zu folgendem Schluss: «Gesundheitsförderung und Prävention in der erste Lebensphase wirken sich positiv auf den weiteren Lebensverlauf aus. Sie verringern Kosten im Gesundheits-, Sozial- und Strafrechtswesen.»
Warum ist die Prävention bei Kindern und Jugendlichen so wichtig? Sie sind besonders anfällig. Ihre Körper, insbesondere aber ihre Gehirne, befinden sich nämlich noch in der Entwicklung. Sie reagieren darum viel stärker auf Umwelteinflüsse – handle es sich um psychischen Stress oder schädliche Substanzen. Auch wenn in der Phase der Kindheit keine Krankheitssymptome auftreten, können in der Kindheit erworbene Schäden später im Erwachsenenleben zu psychischen Problemen führen.
Viele Risikofaktoren
Die Risikofaktoren bei Kindern und Jugendlichen, die eine (spätere) psychische Erkrankung begünstigen, sind mannigfaltig. Zu unterscheiden sind soziale und den Lebensstil betreffende Faktoren.
Bei den sozialen Faktoren geht die HBSC-Studie davon aus, dass eine tiefe soziale Unterstützung stark negativ ins Gewicht fällt. Gemeint ist damit, dass Kinder und Jugendliche von der Familie und von Freund*innen wenig oder keine Unterstützung erfahren. Weitere soziale Faktoren sind Stress in der Schule, eine negative Haltung gegenüber der Schule, Mobbing, Armut und Gewalt.
Die sozialen Faktoren wirken ganz direkt auf die Psyche. Indirekter ist der Zusammenhang bei den Faktoren des Lebensstils, denn diese wirken sich zuerst einmal auf die körperliche Gesundheit aus. Wenn die Mutter während der Schwangerschaft und Stillzeit raucht und trinkt, ist dies schädlich für das heranwachsende Kind.
Logischerweise schadet es dem Körper auch, wenn Kinder und Jugendliche selbst rauchen, trinken oder Drogen konsumieren (vgl. dazu den Beitrag «Warum Suchtmittel rasch zum Problem werden können». Hierzu ein paar Zahlen: Im Jahr 2018 rauchten in der Schweiz 6% der Jugendlichen im Alter zwischen 11 und 15 Jahren. Im Jahr 1994 waren es noch 18%. 2018 tranken in der Schweiz 32% der Jugendlichen im Alter zwischen 11 und 15 Jahren mindestens gelegentlich Alkohol. 4,3% haben sich mindestens zweimal in ihrem Leben richtig betrunken gefühlt. Was Cannabis anbelangt, so hatten 2018 8% der Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 15 Jahren in den letzten 30 Tagen diese Substanz konsumiert.
Was dem Körper schadet, schadet oft auch der Psyche – nicht umsonst heisst es ja «mens sana in corpore sano» – ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Ein gesunder Lebensstil ist auch für die Seele wichtig. Darum soll auf Suchtmittel möglichst verzichtet oder zumindest massvoll damit umgegangen werden. Dazu gehören aber auch eine gesunde Ernährung und genügend Bewegung.
Digitale Medien als Sucht
Nur 44% der Kinder und Jugendlichen bewegten sich 2018 an mehr als fünf Tagen pro Woche. Dies hat zu einem nicht unwesentlichen Teil damit zu tun, dass Kinder und Jugendliche enorm viel Zeit vor dem Bildschirm (TV, Computer, Handy, Tablet) verbringen. Am Wochenende waren es 2018 gemäss der HBSC-Studie bei den 11–15-jährigen im Schnitt 7,4 Stunden pro Tag! Unter der Woche nochmals 4,4 Stunden. Besonders beliebt sind Online-Spiele, Social Media und Chats.
«Ein Risiko besteht in der Art und Weise, wie Kinder und jugendliche digitale Medien nutzen», schreibt das BAG. So könnten sie Inhalte konsumieren, die für ihre Altersgruppe ungeeignet sind oder sie gefährden. Stichworte sind Gewalt, Pornografie, Cybermobbing, Datenmissbrauch. «Aber auch das Ausmass des Konsums spielt eine Rolle», hält das BAG weiter fest. «Bei übermässigem Online-Konsum drohen gesundheitliche Nebenwirkungen und im Extremfall ein Abgleiten i die Sucht.» Rund 7% der 15- bis 19-Jährigen weisen gemäss Suchtmonitoring Schweiz eine problematische Internetnutzung auf.
Schüler*innen mit überdurchschnittlicher Bildschirmnutzung weisen mehr als doppelt so häufig ungesunde Ernährungsweise auf. Sie sind häufiger übergewichtig und körperlich zu wenig aktiv. Oft wird der Schlaf vernachlässigt, die Schulaufgaben und das Familienleben.
Mit der Prävention ganz vorne anfangen
Die Prävention setzt am besten schon vor der Geburt, während der Schwangerschaft ein. Die Mutter tut viel für ihr Kind, wenn sie selbst psychischen Stress möglichst vermeidet und auf schädliche Substanzen wie Alkohol, Cannabis, Tabak, gewisse Medikamente und Drogen verzichtet. Was den Alkohol betrifft, so konsumieren ihn laut BAG 18% der schwangeren oder stillenden Frauen mindestens wöchentlich, 6% punktuell sogar risikoreich.
Ist das Kind einmal geboren, so kann vom Säuglingsalter an viel für dessen Gesundheit getan werden. Wichtig ist, dass die Kinder liebevoll umsorgt werden, sich genügend bewegen, gesund essen und von Suchtmitteln ferngehalten werden. Die HBSC-Studie empfiehlt für die 11- bis 15-Jährigen täglich 60 Minuten körperliche Aktivität – was nur 14% einhalten.
Bei den älteren Kindern und den Jugendlichen geht es dann darum, sie für die Gesundheitsthemen zu sensibilisieren. Dies ist Aufgabe der Familien ebenso wie der Schulen und der Jugendarbeit. In dieser Lebensphase ist es besonders wichtig, die jungen Menschen davor zu bewahren, Süchte zu entwickeln. Mit Teenagern ist dies eine riesige Herausforderung, weil sich diese in dieser Phase von den Eltern zu lösen beginnen und neue Dinge ausprobieren – gerne auch mal psychoaktive Substanzen. Kinder und Jugendliche müssen dies tun können, sonst können sie sich gar nicht entwickeln. Verbote bringen wenig, Aufklärung, ein offenes Ohr und Sensibilisierung hingegen viel.
Soziale Ressourcen nutzen, Selbstwirksamkeit fördern
Im Zusammenhang mit Prävention bezüglich der psychischen Gesundheit sind zwei Dinge zentral: die sozialen Ressourcen und die Selbstwirksamkeit. Wer darauf zugreifen kann, bleibt gesünder.
Unter sozialen Ressourcen versteht man, dass eine Person an der Gemeinschaft teilhaben kann, dass sie soziale Beziehungen hat – in der Familie, unter Freunden, in der Nachbarschaft, der Schule, dem Quartier. So entstehen soziale Netze. Diese haben unter anderem die Funktion, dass sie soziale Unterstützung leisten. Wer sozial gut vernetzt ist, kann damit rechnen, bei Bedarf Hilfe zu bekommen und nicht zu vereinsamen. Für Männer ist gemäss Gesundheitsförderung Schweiz eine gute Beziehung zur Partnerin oder zum Partner die wichtigste Voraussetzung für ein glückliches Leben und lebenslange psychische Gesundheit. Für Frauen hingegen ist es wichtiger, gute und vertrauensvolle Beziehungen zu verschiedenen Personen (Partner*in, Freund*innen, Verwandte) zu pflegen. Für Kinder und Jugendliche stellen die Familienangehörigen und mit zunehmendem Alter die Freund*innen die zentralen Knoten im sozialen Netz dar.
Selbstwirksamkeit beschreibt die subjektive Überzeugung, gewünschte Handlungen aufgrund eigener Kompetenzen erfolgreich bewältigen zu können. «Selbstwirksame Menschen sehen schwierige Aufgaben eher als Herausforderungen, die gemeistert werden können, und weniger als Bedrohungen, die gemieden werden sollen», schreibt Gesundheitsförderung Schweiz in einer Broschüre zum Thema. Ob eine Person eine anspruchsvolle Aufgabe anpacke oder nicht, hänge also nicht ausschliesslich mit ihren Fähigkeiten zusammen, sondern vor allem damit, wie sie ihr Können einschätze.
Selbstwirksamkeit entsteht vor allem durch direkte eigene Erfahrungen, aber auch durch Beobachtung. Einen Einfluss haben zudem Ermutigung und Zuspruch sowie körperliche und emotionale Empfindungen. Kinder und Jugendliche können eine gute Selbstwirksamkeit entwickeln, wenn sie in geschütztem Rahmen viele positive Erfahrungen machen können und man ihnen etwas zutraut. Nicht hilfreich ist es, junge Menschen übermässig vor Risiken schützen zu wollen. Selbstwirksamkeit beeinflusst sowohl die körperliche wie die seelische Gesundheit.
Früherkennung und Frühintervention
Um gefährdete Kinder und Jugendlichen zu unterstützen, engagiert sich auch das Bundesamt für Gesundheit. Dies mit dem Präventionsansatz Früherkennung und Frühintervention. Dieser Ansatz umfasst die folgenden vier Phasen: Schaffung förderlicher Rahmenbedingungen, Früherkennung von Belastungen und Anzeichen einer möglicherweise beeinträchtigten psychosozialen Entwicklung, professionelle Gefährdungseinschätzung und Entwicklung von unterstützenden Massnahmen (Intervention).
Selbstverständlich tut auch Angestellte Schweiz etwas für die Prävention. Wir beraten, unterstützen und informieren dich und wir bilden dich weiter. Infos dazu findest du im Kasten.
Bei der Prävention sind wir alle gefragt – als Eltern, Freund*innen, Nachbar*innen, Lehrer*innen, Arbeitskolleg*innen usw. Engagiere dich, jeder Beitrag ist richtig und wichtig!
Hansjörg Schmid
So unterstützt dich Angestellte Schweiz bei der Prävention
Um dich auf möglichst einfache und barrierefreie Art zu unterstützen, psychisch gesund zu bleiben, hat Angestellte Schweiz zusammen mit WorkMed die praktische neu App «Etwas tun?!» geschaffen. Dort findest du eine Fülle von Informationen, du kannst interaktiv Tests zur psychischen Gesundheit machen und erhältst passende Ratschläge und Lösungswege.
Für eine Beratung zu Gesundheitsfragen kannst du uns kontaktieren per Tel. 044 340 11 11 oder über info@angestellte.ch.
Neben der Beratung informieren wir dich regelmässig auf Apunto-Online und unserer Website im Ratgeber Recht über Themen rund um die psychische Gesundheit.
Vorbeugen kannst du psychischen Belastungen schliesslich mit unseren Kursen zum Thema Gesundheit und Beruf.
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