JavaScript ist in Ihrem Browser deaktiviert. Ohne JavaScript funktioniert die Website nicht korrekt.
Das Online-Magazin der Angestellten Schweiz

Niemand ist vor Angst gefeit

Jeden Dritten kann es mindestens einmal im Leben erwischen: Angststörungen sind noch verbreiteter als Depressionen. Was dazu führen kann, wer besonders betroffen ist und wie man die Krankheit behandelt, erklärt Professor Dr. med. Jiri Modestin von der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression SGAD und vom Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich ZADZ.

Herr Professor Modestin, wie viele Menschen leiden heutzutage unter einer Angststörung oder einer Depression?

Angst- und depressive Störungen stellen heute die häufigsten psychischen Störungen dar. Es wird geschätzt, dass fast 30% der Bevölkerung einmal im Leben eine Angststörung und 20% eine affektive Störung, das heisst vor allem eine Depression, erleiden.

Gehen die beiden Krankheiten miteinander einher oder kann man auch nur an der einen oder der anderen leiden?

Zwar kann man durchaus nur an einer dieser Krankheiten leiden, doch sehr häufig kommen eine Angststörung und eine Depression zusammen vor. Wir sprechen dann von Komorbidität. Es kann aber auch sein, dass eine Depression von einzelnen Angstsymptomen begleitet wird oder dass jemand im Verlauf einer Angststörung depressive Symptome entwickelt.

Unter dem Begriff „Burnout“ ist die Depression heute etwas weniger tabuisiert als früher. Wie steht es mit der Angststörung?

Auch Ängste werden tabuisiert – viele erblicken darin einen Ausdruck der Schwäche. Man vergisst allzu oft, dass Angst eine lebensnotwendige Emotion ist, die uns auf Gefahren aufmerksam macht und die vorsichtiges Handeln ermöglicht.

Angst haben wir alle immer wieder im Leben. Was muss man sich aber unter einer Angststörung genau vorstellen?

Angst kennen wir in der Tat alle und es ist auch krankhaft, wenn man keine Angst erlebt! Die Angst erhält dann einen Krankheitswert, wenn sie ein Leiden verursacht, also unangemessen und unverständlich, zu stark, zu langanhaltend und unkontrollierbar ist. Aber auch, wenn sie einen Menschen in seinem Leben beeinträchtigt, so dass er sich – angstbedingt – vermeidend verhält.

Was sind typische Symptome?

Angst manifestiert sich sehr vielfältig. Einerseits als Emotion der Angst, begleitet von körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Einengung im Hals, Schwitzen und Zittern, motorischer Unruhe oder einer Art kurzdauernder Lähmung. Andererseits gibt es ängstliche Gedanken, zum Beispiel, man könnte sterben oder den Verstand verlieren.

Wie soll sich jemand verhalten, der von einer Panikattacke heimgesucht wird?

Man muss versuchen, Ruhe zu bewahren und sich zu vergegenwärtigen, dass es zwar ein sehr unangenehmer, aber ungefährlicher Zustand ist. Wichtig zu wissen ist, dass die Attacke, so wie sie gekommen ist, bald auch wieder geht.

Wann sollte ich bei Angstzuständen einen Arzt aufsuchen?

Es ist ratsam, dann einen Arzt aufzusuchen, wenn einen die Angst derart belastet, dass man leidet; oder wenn man als Folge der Angst in seiner Arbeit, in den Beziehungen oder in der Freizeitgestaltung beeinträchtigt wird.

Soll ich zum Hausarzt oder gleich zum Spezialisten gehen?

Für die meisten wird der Hausarzt die erste Adresse sein – schon aus dem Grund, dass viele die Angst primär einem körperlichen Leiden zuschreiben, z.B. einem kranken Herz. Manche Patienten realisieren selbst, dass es sich um ein psychisches Leiden handelt und suchen direkt einen Spezialisten auf, andere, vor allem mit schweren Angststörungen, werden vom Hausarzt einem Spezialisten zugewiesen.

Was sind die Ursachen für eine Angststörung?

Die Ursachen können sehr vielfältig sein. Dennoch gelingt es nicht immer, sie bei einem Patienten mit Sicherheit zu identifizieren. Genannt werden – nebst Genetik und bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen – unsichere frühkindliche Bindungen oder negative Lebenserfahrungen, die zu einer ungünstigen Konditionierung führen. Manchmal spielt das Lernen am „falschen“ Modell eine Rolle.

Gibt es Menschentypen, die besonders anfällig sind?

Ja, häufiger sind es Menschen, die schüchtern und wenig selbständig sind, die sich wenig trauen und die dazu neigen, alles mit Besorgnis zu betrachten. Manche entwickeln eine Angstsensibilität. Sie lenken ihre Aufmerksamkeit vermehrt auf flüchtige, alltägliche körperliche Empfindungen oder Missempfindungen, die sie dann überbewerten. Allerdings muss man sagen, dass vor Angst niemand gefeit ist und manchmal auch die stärksten und psychisch robustesten Menschen betroffen sind.

Stellen Sie eine Zunahme von Angststörungen fest?

Ob Angststörungen zunehmen, kann man aufgrund einer Einzelerfahrung nicht beurteilen. Die Meinungen sind diesbezüglich unterschiedlich; der deutsche Psychologe Jürgen Margraf schätzt, dass in industrialisierten Ländern emotionale Störungen tatsächlich zunehmen.

Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?

Die wahrgenommene Diskrepanz zwischen der idealisierten Welt, wie sie uns tagtäglich präsentiert wird, und der persönlichen Realität verstärkt das Risiko für emotionale Störungen.

Wie behandelt man Angststörungen?

Die Behandlung der Angst muss individualisiert erfolgen, der Problematik und den Bedürfnissen des einzelnen Patienten angepasst. Sie ist multimodal, kombiniert also verschiedene Methoden, und beginnt mit der gründlichen Aufklärung über Angst und ihre Funktion. Therapie der Wahl ist dann in der Regel die kognitive Verhaltenstherapie. Zentral ist dabei die Konfrontation mit der Angst als Mittel zu deren Bewältigung. Immer wieder kommen auch Medikamente zum Einsatz.

Glauben Sie, dass die Angststörungen weiter zunehmen werden?

Das hoffen wir zwar nicht, können es jedoch nicht ausschliessen.

Was sollte die Politik tun?

Sie soll für Sicherheit sorgen, ohne jedoch die Menschen durch die Schaffung von immer neuen Abhängigkeiten zu «Unmündigen» zu machen.

Was müssen Arbeitgeber tun?

Arbeitgeber müssen für faire Verhältnisse sorgen und eine Arbeitsatmosphäre schaffen, in der es für Erscheinungen wie Mobbing oder Einschüchterungen keinen Platz gibt.

 

Interview: Hansjörg Schmid

Montag, 16. Jul 2018

Zurück zur Übersicht

Teilen:

«Man vergisst allzu oft, dass Angst eine lebensnotwendige Emotion ist, die uns auf Gefahren aufmerksam macht und die vorsichtiges Handeln ermöglicht.»
Prof. Dr. med. Jiri Modestin

Die Schweizerische Gesellschaft für Angst und Depression SGAD

Dr. med Josef Hättenschwiler

Vor der Gründung der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression SGAD gab es keine Ärzteorganisation, die sich spezifisch für die Prävention und Gesundheitsförderung bezüglich dieser sehr häufigen psychiatrischen Erkrankungen einsetzte. „Mit der Gründung wollten wir einen Beitrag zur Weiterentwicklung und Verbreitung von Wissen und Behandlungsmöglichkeiten leisten“, sagt Dr. Josef Hättenschwiler, Chefarzt und leitender Mediziner des Zentrums für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich und Gründungsmitglied der SGAD. Dazu gehören unter anderem verschiedene Aus-, Weiter- und Fortbildungsmassnahmen. „Darüber hinaus ist uns die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für diese wichtigen Themen ein grosses Anliegen“, ergänzt Hättenschwiler.

Die SGAD versteht sich als die Online-Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige. Die Website ist so aufgebaut, dass die Besucher mit wenigen Clicks und mittels Beantwortung von spezifischen Fragen, zu den für sie wichtigen Informationen kommen. Die SGAD bietet Informationen zu den einzelnen Krankheitsbildern, aber auch Adressen von Fachärzten, Institutionen, Patientenorganisationen und anderen Organisationen, die Betroffenen und ihren Angehörigen Hilfe bieten können. „Wir möchten damit auch einen Beitrag leisten, damit sich Betroffene und Interessierte im Dschungel der Online-Information zurechtfinden“, erklärt Josef Hättenschwiler.

Mehr zu psychischen Krankheiten

>> Früher nutzte man bei der Arbeit den Rücken ab, heute das Hirn

>> Wie ein Schiff ohne Kapitän

>> Wenn der Körper nicht mehr kann

Die Angestellten Schweiz bieten in der Rubrik Persönlichkeitsentwicklungskurse Schulungen zum Thema Burnout & Stress an.