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Das Online-Magazin der Angestellten Schweiz

Zur Situation des Mittelstands in der Schweiz

Mitte ist nicht gleich Mitte

Der Mittelstand ist in der Schweiz nach wie vor solide. Aber es macht bezüglich Lebensqualität einen teilweise beträchtlichen Unterschied, ob man zur oberen oder zur unteren Mitte gehört. Dies zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie des Bundesamtes für Statistik.

Im Frühjahr 2016 schreckte eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) die Öffentlichkeit in unserem Nachbarland auf. Sie hatte berechnet, dass die Mittelschicht seit der Wiedervereinigung 1991 bis 2013 von 66% der Bevölkerung auf 61% geschrumpft war. Damit sei der Rückgang so stark wie in den USA.

Auch in der Schweiz ist die Angst gross, dass der Mittelstand immer mehr zerrieben wird – nicht zuletzt haben die Angestellten Schweiz Studien in Auftrag gegeben und davor gewarnt, dass der Mittelstand immer mehr belastet wird. Ist der Mittelstand auch in der Schweiz auf dem absteigenden Ast? Die neue Studie „Wie geht es der ‚Mitte‘“ des Bundesamtes für Statistik (BFS) gibt Auskunft darüber, wie es dem Mittelstand im Jahr 2013 ergangen ist. Ganz allgemein darf man, wenn man die Resultate analysiert, vorerst Entwarnung geben: Der Mittelstand steht hierzulande nach wie vor solide da (auch wenn er in der Schweiz seit 2009 leicht am Schrumpfen ist). Allerdings gibt es kritische Entwicklungen, wo Handlungsbedarf angesagt ist.

Zweigeteilter Mittelstand

Zuerst einmal fällt auf, dass es in Bezug auf die Lebensqualität einen spürbaren Unterschied macht, ob man zu oberen oder zum unteren Mittelstand gehört. So fällt es einem Viertel der Bevölkerung im unteren Mittelstand schwer, eine unerwartete Rechnung von 2500 Franken zu begleichen. Im oberen Mittestand ist es nur ein gutes Zehntel. In der unteren Mitte sind denn auch 20,6% mit der finanziellen Situation unzufrieden, in der oberen Mitte nur 13,9%. Weniger deutlich, aber immer noch vorhanden sind die Unterschiede in den anderen untersuchten Bereichen. In der unteren Mitte leben ähnlich viele Bewohner in überbelegten Wohnungen wie in der Schicht der Einkommensschwachen (8,8%, 10,2%). In der oberen Mitte beträgt der Wert lediglich 4,4%. Die untere Mitte ist auch stärker belastet mit den Wohnkosten und weniger zufrieden mit der Wohnsituation. Das gleiche Bild zeigt sich bei der Gesundheit: in der oberen Mitte ist man gesünder als in der unteren Mitte, wo jede zehnte Person mit ihrer Gesundheit unzufrieden ist. Eine Folge der schlechteren Werte ist, dass die Gruppe der Personen, die selten soziale Kontakte haben, in der unteren Mitte mit 6,5% klar höher ist als in der oberen Mitte (2,1%).

Der untere Mittelstand ist punkto Bildung herausgefordert

Rund ein Drittel der Schweizer Bevölkerung hat einen Tertiärabschluss (Hochschule, höhere Berufsbildung), gut die Hälfte einen Abschluss auf Sekundarstufe II, und nur 16,7% haben nur die obligatorische Schule absolviert (Sekundarstufe I). Dies ist eher dem oberen als dem unteren Mittelstand zu verdanken. Die Werte für den unteren Mittelstand sind nämlich erschreckend schlechter: 21,9% haben nur einen obligatorischen Schulabschluss in der Tasche und lediglich 20% einen Tertiärabschluss. Anders ausgedrückt: Die untere Mitte hat ein Bildungsdefizit. Damit dürfte sie in der Arbeitswelt in nächster Zukunft stark herausgefordert werden. Unsere Arbeitswelt wird, getrieben von der Digitalisierung, nicht nur immer schneller, sondern auch komplexer (Stichwort Industrie 4.0, siehe Apunto 3/2016). Gerade die Routinejobs, die heute vor allem von Angehörigen des unteren Mittelstandes ausgeführt werden, werden grossflächig verschwinden, weil sie von zunehmend von Robotern und Algorithmen erledigt werden. Die neu entstehenden Jobs, z.B. in der Programmierung oder der künstlichen Intelligenz, erfordern zwingend eine höhere Bildung.

Die Bildung wird somit noch stärker als bisher zum Schlüsselfaktor für den Erfolg der Schweiz. In sie ist verstärkt zu investieren – die Angestellten Schweiz fordern das immer wieder. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass der untere Mittelstand auf ein höheres Bildungsniveau gebracht wird, sonst verliert er den Anschluss und droht abzusteigen.

Politik muss Mittelstand besser abholen

Auch wenn der Mittelstand gemäss der BFS-Studie objektiv gut dasteht, so empfindet er das selbst nicht unbedingt so. Bei ihm spielt zudem immer auch die Angst vor dem Abstieg mit hinein. Dies kam in einer Studie, welche die Angestellten Schweiz 2013 mit der Zeitschrift Beobachter durchgeführt hatten, klar zum Ausdruck. Auch in der BFS-Studie gibt es Hinweise darauf, dass sich der Mittelstand bedroht sieht. Am deutlichsten zeigt sich dies im Vertrauen in die Politik. Die Schweiz ist ja weiss Gott keine Bananenrepublik. Dennoch geniessen unsere Politiker bei genau einem Drittel der unteren Mitte wenig bis kein Vertrauen. Bei der oberen Mitte sind es immer noch 26,6% (bei den Einkommensschwachen 37,3%, bei den Einkommensstarken 21,1%). Was das Vertrauen ins Rechtssystem betrifft, sehen die Werte etwas, aber nicht viel besser aus: 26% aus der unteren Mitte misstrauen ihm, 21,6% aus der oberen Mitte. Bei der Wahrnehmung der eigenen Sicherheit gibt rund ein Fünftel der unteren Mitte an, sich unsicher zu fühlen, bei der oberen sind es 13,7%.

Den Gründen für das mangelnde Vertrauen muss unbedingt auf den Grund gegangen werden. Insbesondere muss die Politik etwas gegen ihre Unpopularität unternehmen. Sonst enden wir dort, wo momentan andere europäische Länder stehen: Populistische Parteien bestimmen die Agenda der Politik oder übernehmen die Regierung wie in Ungarn oder Polen. Wahl- und Abstimmungskämpfe auf untersten Niveau (wie aktuell in den USA), bei denen es nur noch um Scheinprobleme geht, bringen kein Land weiter. Die Schweiz ist wirtschaftlich erfolgreich und wohlhabend, weil sie eine ausgewogene, liberale Politik umsetzt und starke soziale Auffangnetze hat. Diese können nur erhalten werden, wenn die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin dahinter steht – und die Mehrheit ist mit rund 60% Bevölkerungsanteil der Mittelstand. Wenn er sich den Populisten zuwendet, weil er nicht abgeholt wird, droht das Gleichgewicht zu kippen und die Schweiz könnte auseinander fallen. Die Politik muss darum die Sorgen und Nöte des Mittelstands ernst nehmen und dafür sorgen, dass er in unserem Land weiterhin gute Perspektiven hat.

Hansjörg Schmid

Montag, 31. Okt 2016

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