Corona schlägt uns aufs Gemüt
Je länger die Pandemie dauert, desto mehr macht sie uns krank. Covid-19 lässt uns nicht nur körperlich, sondern auch seelisch leiden. Dagegen müssen wir etwas tun.

Den ersten Lockdown haben die meisten Bewohner*innen der Schweiz, nachdem der Schock über den plötzlichen Ausbruch einer Pandemie überwunden war, ziemlich locker weggesteckt. Den Sommer konnten viele dank tiefer Fallzahlen recht unbekümmert geniessen. Dann kam die zweite Welle mit voller Wucht, und es tauchten ansteckendere Mutationen auf. Es ist nicht zu übersehen, dass viele Menschen aktuell sehr stark unter der Pandemie leiden.
Die Krankheit kann ungeheuerlich schmerzhaft sein. Aber selbst wenn wir nicht von Covid-19 befallen sind oder waren, können wir seelisch sehr stark belastet sein. Sei es, weil Angehörige oder Freund*innen schwer erkrankt oder sogar gestorben sind, sei es, weil wir (als Risikoperson) grosse Angst vor einer Ansteckung haben, sei es, weil uns die Einschränkung der sozialen Kontakte zu schaffen machen. Dazu kommen die wirtschaftlichen Unsicherheiten, die bei viele Menschen Existenzängste auslösen (Angst vor Arbeitsplatzverlust oder Verlust von Aufträgen).
Dass es uns schlechter geht, belegen Zahlen, die das Link-Institut am 25. Januar 2021 publizierte. Befragt wurden über 1000 Personen in der Deutsch- und Westschweiz. Verglichen mit dem Januar 2020 fühlten sich in diesem Januar über ein Drittel schlechter. Von mehr Sorgen als vor Jahresfrist berichteten 52%.
Die schlechte Stimmung war auch am Arbeitsplatz zu spüren. 38% gaben an, das Arbeitsklima habe sich verschlechtert, 33% attestierten der Chefin/dem Chef eine schlechtere Laune. Bei 26% war mindestens eine Person im Haushalt auf Kurzarbeit. In 17% der Haushalte gab es eine Person, die um den Arbeitsplatz fürchtete, in 6,5% hatte jemand die Arbeit bereits verloren.
Corona macht viele krank
Neben den direkten Krankheitssymptomen von Covid-19 hat die Pandemie eine ganze Reihe von psychischen Folgen für die Betroffenen. Die milderen Symptome sind Stress, gedrückte Stimmung, Niedergeschlagenheit oder auch Wut. Ernst wird es, wenn die Angst ins Spiel kommt und der Antrieb verloren geht. Dann ist es nicht mehr weit zu Schlafstörungen sowie Konzentrations- und Entscheidungsstörungen. Dies kann dann in Angststörungen oder leichte bis schwere Depressionen, respektive ein Burnout münden. Schlimmstenfalls kommt es zum Suizid. Diverse Studien, die im Zuge der Coronapandemie oder während anderer Pandemien wie Ebola gemacht wurden, kommen klar zum Schluss, dass Angststörungen und Depressionen stark zugenommen haben. «In manchen Studien berichteten über 70% der Patient*innen, ängstlich und depressiv, hilflos und reizbar zu sein und ein niedriges Selbstwertgefühl zu haben», stellt die deutsche «Bundes Psychotherapeuten Kammer» fest, die eine ganze Reihe von internationalen Studien ausgewertet hat. Gemäss einer Umfrage der Covid-Taskforce des Bundes hat sich die Zahl der Menschen, die unter einer schweren Depression leiden, in der zweiten Corona-Welle verdoppelt.
Alte und Junge besonders betroffen
Von der Krise ist natürlich die ganze Bevölkerung betroffen, aber einige Gruppen leiden stärker als andere. Zu nennen sind neben Kranken und sozial Benachteiligten einerseits die Älteren, die ja alle zur Risikogruppe gehören, andererseits die Kinder und Jugendlichen. Beide Gruppen vermissen besonders schmerzlich die sozialen Kontakte.
Frauen sind ebenfalls stärker betroffen als Männer. Einerseits sind sie anfälliger für psychische Belastungen, andererseits bekommen gerade sie Folgen der Pandemie besonders zu spüren. Viele arbeiten in Berufen, die entweder viel stressiger wurden, wie die Pflege, oder aufgrund des Lockdowns nicht mehr ausgeübt werden können (z.B. künstlerische Berufe). Dazu kommt oft noch die Zusatzbelastung durch das Home-Schooling der Kinder.
Flucht in die Sucht oder Gewalt
Eine direkte Folge der geschilderten Belastungen ist eine Zunahme des Suchtverhaltens der Menschen. Gemäss dem aktuellen Jahresbericht der Stiftung «Sucht Schweiz» greifen die Menschen seit dem Ausbruch der Pandemie öfter zu Suchtmitteln, um sich zu entlasten. Neu dazu kommen Personen, die direkt mit Covid-19 konfrontiert sind oder ein erhöhtes Ansteckungsrisiko haben, zum Beispiel Pflegende.
Die Menschen konsumieren vor allem mehr Alkohol. Gemäss der internationalen Studie «Global Drug Survey» trinken 43% der Befragten häufiger und 36% grössere Mengen. Was das Rauchen betrifft, so gibt es gemäss «Sucht Schweiz» eine Gruppe, die wegen der Lungenkrankheit Covid-19 versucht aufzuhören (17%, 4,6% schafften es), fast ebenso viele (15%) rauchen allerdings aus Stress mehr. Laut Studien hat auch die Spiel-, Medien- und Medikamentensucht zugenommen. Harte Drogen sind trotz der Corona-Einschränkungen auf dem Markt weiterhin erhältlich, hier ist kaum ein Rückgang des Konsums zu erwarten.
Wenn die Menschen gestresster und unzufriedener sind, ist davon auszugehen, dass auch Konflikte und Gewalt zunehmen. Insbesondere innerhalb von Familien wird dies befürchtet, wenn alle die meiste Zeit zuhause sitzen.
Wir müssen handeln – alle
Die gesundheitlichen Auswirkungen der Corona-Krise werden nicht so schnell verschwinden. Wir müssen einen Weg finden, mit ihnen fertig zu werden. Tun wir es nicht, ist das schlecht für unsere Gesundheit Wirtschaft. Aufgefordert zum Handeln sind die Politik, die Arbeitgeber, die Verbände und jede*r selbst.
Die Politik liess bisher, mit Ausnahme während des ersten Lockdowns, eine klare Linie vermissen. Die Kommunikation durch den Bund und die Kantone war oft unklar oder widersprüchlich, die Zuständigkeiten ebenso. Für eine Pandemie ist eine solche Politik ungeeignet. Es gehen unnötig Zeit und Ressourcen verloren. Der Bundesrat muss klarer den Lead übernehmen und den Mut haben, notwendige Massnahmen rasch und effizient durchzusetzen. Die Massnahmen sollen in der ganzen Schweiz möglichst gleich umgesetzt werden – ein Flickenteppich verwirrt die Bevölkerung nur und verleitet dazu, sich nicht an die Regeln zu halten.
Die Auswirkungen der Pandemie sind teilweise dramatisch. Jetzt darf die Politik mit Hilfeleistungen nicht knausern, sonst sind wir noch lange nicht über den Berg. Diese Hilfe für die Betroffenen, sei sie gesundheitlich oder wirtschaftlich, muss grosszügig sein. Das ist eine Investition in unsere Zukunft. Insbesondere sind die stark betroffenen Bevölkerungsgruppen zu unterstützen. Dabei dürfen die Jungen nicht vergessen werden – wir müssen vermeiden, dass eine Generation Corona entsteht, die es ein Leben lang schwer haben wird.
Die Arbeitgeber müssen ein Interesse daran haben, dass ihre Angestellten gesund und arbeitsmarktfähig sind und bleiben. Sie sind darum aufgefordert, in der Pandemie ihrer Fürsorgepflicht besonders sorgfältig nachzukommen und bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf sanftere Massnahmen als Entlassungen zu setzen, zum Beispiel auf Kurzarbeit.
Was Sie selbst tun können, hat Ihnen Jan Borer, BSc Arbeitspsychologie, unten zusammengefasst. Selbstverständlich unterstützen wir Sie als Arbeitnehmerverband tatkräftig, mit Beratungen, Informationen und Weiterbildungen.
Hansjörg Schmid
So kommen Sie gut durch die Coronakrise
- Keine Flucht in die Sucht
Sehen Sie davon ab, negative Gemütszustände mit Alkohol oder anderen Substanzen zu kompensieren. Der erhöhte Konsum dient lediglich der Verdrängung ihrer Empfindungen und kann in ernsteren Fällen in einer Abhängigkeit enden.
- Kontakte pflegen
Soziale Kontakte sind für Menschen zentral. Der Austausch mit Freunden und Verwandten ist für unsere psychische Gesundheit unerlässlich. Lassen Sie sich vom momentanen Lockdown nicht entmutigen und nutzen Sie die neuen Technologien. Planen Sie ein Zoom-Dinner oder einen virtuellen Spieleabend – und schalten Sie die Kamera ein.
- Tagesstruktur geben
Unter den aktuellen Umständen ist es nur zu einfach, den ganzen Tag im Trainer zu sitzen oder unregelmässig zu essen. Eine gute Tagesstruktur ist jedoch genau das, was depressiven Verstimmungen vorbeugt. Lassen Sie sich nicht hängen und ziehen Sie wie gewohnt normale Kleidung an, nachdem Sie aufgestanden sind. Auch neue Rituale, wie zum Beispiel die virtuelle Kaffeepause mit Kolleginnen und Kollegen, können Wunder wirken.
- In Bewegung bleiben
Sportliche Aktivität hilft nicht nur unserem Körper und wirkt dem Lockdown-bedingten Bewegungsmangel entgegen, sie sorgt auch für ein positives Gefühl und bessert jede noch so miese Stimmung auf. Idealerweise verbinden Sie die sportliche Aktivität mit Ihrer Tagesstruktur.
- Ablenkung
Im Moment scheint unsere Welt nur noch aus der Pandemie zu bestehen. Sorgen Sie für die nötige Ablenkung, um eine einseitige Weltsicht zu verhindern (welche ebenso depressive Verstimmungen begünstigt!). Haben Sie ein paar freie Stunden? Nun ist der ideale Zeitpunkt, um diese Serie zu schauen, die Sie schon lange gespeichert haben – beschäftigen Sie sich und versuchen Sie, nicht ins Grübeln zu verfallen.
- Darüber sprechen
Auch wenn soziale Kontakte in natura im Moment nur eingeschränkt möglich sind, müssen Sie nicht allein durch diese schwierige Zeit gehen. Nutzen Sie ihr familiäres und soziales Netzwerk und sprechen Sie die Dinge an, die Sie belasten. Sollte sich ihre Zustimmung drastisch verschlechtern, ist ein Besuch bei einer Therapeutin, einem Therapeuten zu empfehlen. Viele Berater*innen bieten ihre Dienste auch telefonisch an. Gute Anlaufstellen bei psychischen Belastungen sind Pro Mente Sana, Pro Juventute oder Die dargebotene Hand – Telefon 143.
- Weniger Medien konsumieren, gut auswählen
Die Menschen haben momentan ohnehin genug Konfrontation mit der Pandemie. Versuchen Sie, ihre konsumierten Medien gezielt auszuwählen, um nicht noch zusätzlich mit beunruhigenden Nachrichten (oder sogar Verschwörungen) belastet zu werden. Wollen Sie sich informieren, so nutzen Sie offizielle und seriöse Kanäle, wie zum Beispiel die Webseite des Bundes oder der Angestellten Schweiz.
- Persönliche Ressourcen stärken durch Weiterbildung
Die Stärkung der persönlichen Ressourcen, um zum Beispiel mit Druck und Belastungen besser umgehen zu können, ist in der aktuellen Lage wichtiger denn je. Eine entsprechende Investition lohnt sich. Die Angestellten Schweiz bieten im Zuge der Corona-Krise ein vollständiges Online-Kursprogramm in diesem Bereich an. Wappnen Sie sich jetzt für die nächsten Herausforderungen – ganz aus dem Komfort und der Sicherheit Ihrer eigenen vier Wände heraus.
Jan Borer