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Wir brauchen neue Kompetenzen

In der modernen Arbeitswelt arbeiten wir vermehrt mobil-flexibel. Damit dies ein Gewinn für uns ist, müssen wir uns spezielle neue Kompetenzen aneignen. Welche das sind, verrät Prof. Dr. Hartmut Schulze, Arbeitspsychologe und Leiter des Instituts für Kooperationsforschung und –entwicklung an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.

Herr Schulze, wo arbeiten Sie überall?

30 bis 40 Prozent meiner Arbeitszeit verbringe ich in unseren Büroräumlichkeiten an der Fachhochschule. Wir haben verschiedene Büro-Zonen, die ich je nach Tätigkeit und Stimmung nutze.

Was sind das für Zonen?

Wir haben ein Multispace-Büro. Dies bedeutet, dass unsere Mitarbeitenden verschiedene Arbeitsplätze und Zonen zur Wahl haben. Es gibt es eine Zone für ruhiges, konzentriertes Arbeiten. Dann gibt es die „regular zone“, in der man auch miteinander sprechen oder kurz telefonieren kann. Dies ist eine meiner Lieblingszonen, da ich dann auch von anderen etwas mitbekomme. Für längere Telefongespräche suchen wir die Telefonzimmer auf, um die Kolleginnen und Kollegen nicht zu stören. Daneben gibt es eine soziale Begegnungszone und eine Zone für gemeinsame Projektarbeiten (Coworking-Zone) sowie verschiedene Besprechungsräume.

Wo arbeiten Sie ausserhalb der Hochschule?

Regelmässig arbeite ich im Homeoffice, häufig am Montag. An diesem Tag koche ich das Mittagessen für unsere Kinder und nutze den Vor- und Nachmittag für ungestörtes Arbeiten. Ich arbeite auch gerne im Zug, da ich mich beim Reisen gut konzentrieren kann. Dies kommt gar nicht so selten vor, da ich viel unterwegs zu Kunden und Kundinnen oder Projekten bin. Ein Grossteil der Arbeitsorte ergibt sich durch meine Agenda.

Wo arbeiten Sie am liebsten?

Das kommt stark auf die Aufgabe und auch auf meine Stimmung an. Ich bin gerne bei uns an der Fachhochschule und betrachte diese als meinen Hauptarbeitsort. Zuhause mache ich mehr konzeptionelle Tätigkeiten. Mir ist es aber auch schon so gegangen, dass ich mich im Homeoffice nicht mehr konzentrieren konnte und ins Büro gefahren bin – oder auch umgekehrt. Die Möglichkeit, den passenden Ort wählen zu können, macht es für mich aus.

Wo kann überall gearbeitet werden?

Ich finde, wir leben in einer Zeit, die stark darauf ausgerichtet ist, Ergebnisse zu produzieren. Dabei vernachlässigen wir, dass auch ein assoziativer, reflexiver Modus wichtig ist, um auf neue Ideen zu kommen. Von daher brauchen wir auch Räume, in denen man nachdenken und die Gedanken schweifen lassen kann. Ich selbst arbeite gerne auch einmal in einem Cafés oder an anderen belebten Orten. Man möchte sich eigentlich nicht unterhalten, hat aber noch andere Menschen um sich rum. Dann braucht es aber auch Räumlichkeiten, in denen es leicht fällt, ins Gespräch mit anderen zu kommen. Den Austausch von Mensch zu Mensch halte ich für eine wichtige Ressource, die allerdings knapper wird, da wir uns mehr und mehr mit Maschinen  beschäftigen und mit ihnen kommunizieren.

Welche Räume eignen sich nicht zum Arbeiten?

Schlecht ist es, wenn es zu laut ist oder wenn man häufiger und stark abgelenkt wird. Man kommt auch nicht in allen Umgebungen gleich gut in den Arbeitsfluss. Belastend ist es auch, wenn man einen Ort, an dem man sich gestört fühlt oder an dem man sich nicht gut konzentrieren kann, nicht wechseln, wenn man nicht ausweichen kann. Das ist schwer zu ertragen und kann letztlich auch auf die Gesundheit schlagen. Deshalb haben sich ja Grossraumbüros ohne weitere Arbeitszonen als kritisch herausgestellt. Man ist gezwungen, alle Tätigkeiten, inklusive lautem Telefonieren, am fixen Arbeitsplatz auszuführen. Grössere Büros funktionieren nach unserer Erfahrung nur, wenn sie verschiedene Zonen haben wie die in unseren Räumlichkeiten in Olten.

Wie ist Ihr Multispace-Büro organisiert?

Bis auf unsere Sekretärin hat bei uns niemand mehr einen eigenen Arbeitsplatz. Auch unsere neue Direktorin hat ihr Büro aufgelöst und sitzt jetzt mit allen anderen in der Fläche.

Wie kam es bei den Mitarbeitenden an, dass sie keinen eigenen Arbeitsplatz mehr haben?

Es war natürlich schon ein Prozess, sich davon zu lösen. Meiner Erfahrung nach kann dies nur funktionieren, wenn die Betroffenen merken, dass sie dabei auch etwas Bedeutsames hinzu gewinnen. Man hat zwar auf den ersten Blick weniger Platz als zum Beispiel in einem Zweierbüro, aber man gewinnt eben neue Zonen, wie z.B. Kreativ- oder Ruheräume, die man alternativ aufsuchen kann. Es stellt einen besonderen Wert dar, je nach Tätigkeit und Stimmung den dafür je optimalen Ort aufsuchen zu können.

Welche Raumkompetenzen brauchen Erwerbstätige für die Arbeit in der flexiblen, digitalen Welt?

Durch die Digitalisierung und die Zunahme der Dienstleistungstätigkeiten kommen neue Anforderungen auf uns zu. Die Arbeit wird anspruchsvoller, kognitiver und intellektueller, aber auch vielfältiger. Wir müssen häufiger analysieren, recherchieren, Daten auswerten, verdichten und präsentieren. Dadurch kommt eine wichtige Kompetenz dazu: Wir müssen uns überlegen, in welcher Umgebung wir eine bestimmte Arbeit möglichst gut ausführen können. Das verstehen wir unter «Raumkompetenz», den richtigen Ort für die jeweilige Arbeit wählen zu können. Weiter müssen wir uns fragen, was wir von der sozialen Umgebung her brauchen. Will ich ganz allein arbeiten oder unter Menschen, aber ungestört wie z.B. im Café? Wir müssen zudem in der Lage sein zu entscheiden, wie weit und wann wir die die Arbeits- und die Privatsphäre integrieren oder trennen wollen. Ebenso müssen wir in der Lage sein zu entscheiden, wann wir erreichbar sein wollen und wann nicht. Man kann alle diese Kompetenzen unter dem Begriff Selbstmanagementkompetenz oder Selbstführung zusammenfassen.

Das sind ganz schön viele Kompetenzen, die wir zusätzlich brauchen.

Es kommt für mich sogar noch etwas sehr Wichtiges dazu: Man muss auch wieder lernen, wie wir uns richtig in eine Arbeit vertiefen, ohne uns z.B. vom Natel ablenken zu lassen. Dies wird im Fachjargon als „deep work“ bezeichnet. Das Problem ist ja heute, dass wir eben häufig abgelenkt werden. Man braucht also auch die Kompetenz zu entscheiden, ob man sich ablenken lässt oder ob man sich in die Arbeit vertieft.

Das bedingt aber, dass man die Autonomie darüber hat. Sonst ist man ja fremdbestimmt.

Genau. Autonomie ist eine wichtige Ressource. Wenn wir z.B. länger arbeiten oder auch mal zu Hause erreichbar sind, dies aber freiwillig tun, so können wir das besser verarbeiten, als wenn wir dazu gezwungen werden.

Wo kann man alle die neuen Kompetenzen lernen?

Hier haben wir z.B. den CAS «Psychologie flexibler und agiler Arbeit» entwickelt, den wir neu anbieten. Ich denke aber auch, selbstorganisiertes Arbeiten und Lernen sollte schon in der Schule vermittelt werden.

Mit den Lernlandschaften und dem Lehrplan 21 wird das ja umgesetzt.

Genau, das finde ich super.

Welche Kompetenzen brauchen Führungskräfte?

Auch sie brauchen neue Kompetenzen. In den letzten fünf Jahren ist viel dazu geforscht worden, was Führungskräfte für die digitale Transformation mitbringen müssen. Ein wesentlicher Punkt ist, dass sie es schaffen müssen, einen angemessenen Kontakt zu ihren Mitarbeitenden aufrechterhalten zu können, auch wenn diese physisch nicht vor Ort sind. Das ist nicht trivial. Hilfreich können hier z.B. Kollaborationswerkzeuge oder Messenger sein.

Funktionieren diese Kontakte auch, wenn sie nur über solche Werkzeuge erfolgen und man sich nie sieht?

Die Frage ist, ob man auch über virtuelle Kommunikationskanäle Nähe aufbauen kann. Ich will das nicht ausschliessen, trotzdem finde ich es wichtig, dass man sich auch noch physisch begegnet. Wichtig ist auch, einen Team-Spirit zu entwickeln. In Grossräumen kommt etwas Weiteres dazu, gerade wenn die Chefs mit in der Fläche sitzen: Das Management von Nähe und Distanz. Das müssen sie gut austarieren können.

Wie weit braucht es neue Führungsmodelle?

Was man sicher sagen kann: Die alten Führungsmodelle nach dem Grundsatz „befehlen und kontrollieren“ funktionieren nicht mehr gut. Die neuen Führungsmodelle gehen alle in Richtung mehr Selbstorganisation. Führungskräfte haben mehr die Rolle eines Coachs oder Beraters. Die Teilung der Verantwortung ist ein wichtiger Punkt – wobei Vorgesetzte weiterhin auch Verantwortung übernehmen sollen.

Was macht das flexible, mobile Arbeiten psychologisch mit uns?

Ein ganz wichtiger Aspekt ist wie gesagt die Autonomie. Wenn ich selbst bestimmen kann, wo, wann und wie ich arbeite, erlebt man das flexible mobile Arbeiten eher als Bereicherung. Wenn es mehr fremdbestimmt ist, wird es als Last empfunden. Gesundheitspsychologisch betrachtet würde man von Ressource oder Belastung sprechen. Letztlich hängt es auch davon ab, was man für ein Typ ist, wo man gerne arbeitet und was einen motiviert. Nicht für alle ist das Gleiche gut.

Was sind die gesundheitlichen Folgen, wenn die Passung nicht stimmt?

Ein generelles und zunehmendes Problem ist das, was wir Gratifikationskrise nennen – also dass die Anerkennung für die geleistete Arbeit deutlich hinter der Anstrengung zurückbleibt. Dazu kommt es eher, wenn man sich weniger sieht, denn dann bekommt man ja viel weniger mit, dass da jemand über längere Zeit hart gearbeitet hat. Ein solches Missverhältnis kann dann zu psychischen Störungen, zu Erschöpfung und bis hin zu einem Burnout führen.

Wie begegnet man diesen Problemen?

Neben der Wertschätzung und Anerkennung ist es wichtig, im Team darüber zu sprechen. Früher hatte man ja viel stärker sein festes Arbeitsteam, das wie eine Schicksalsgemeinschaft funktionierte. Die soziale Unterstützung stellt eine zentrale Ressource dar. Wenn man stark mobil-flexibel arbeitet, leidet diese, da man ja die Kolleginnen und Kollegen weniger sieht. Darum muss diese soziale Ressource wieder gestärkt werden. „Deep work“ ist nicht nur für einzelne Mitarbeitende gefragt, sondern auch für Teams.

Wenn wir immer wieder an anderen Orten arbeiten und nicht einmal mehr eigene Schreibtische haben, wie schaffen wir es, uns trotzdem wohl und geborgen zu fühlen?

Eine gute Möglichkeit dafür ist es, die Mitarbeitenden bei der Gestaltung der Büroumwelt mit einzubeziehen. Wenn sie sich einbringen können mit ihren Anforderungen, dann werden die Umgebungen qualitativ besser und gleichzeitig führt dies zu höherem Commitment der Organisation gegenüber.

Wir sind immer und überall erreichbar. Arbeit und Freizeit verschmelzen zunehmend. Wie vermeidet man, dass wir uns selber ausnützen und Probleme bekommen?

Die hohe Anzahl von Aufgaben aus unterschiedlichen Lebensbereichen optimal zu organisieren fällt vielen Menschen zu Beginn schwer. Dies ist auch ein Lernprozess. Ich denke, ungeteilte Aufmerksamkeit für etwas, sei dies privat oder während der Arbeit, wird zu einer wichtigen Qualität. Wenn wir somit „deep work“ sagen, dann müssen wir auch „deep family“ oder „deep privacy“ sagen.

Was ist aus Ihrer Sicht ideal: Wie viel Büro, wie viel Home Office, wie viel Coworking, wie viel andere Arbeitsräume?

Die richtige Balance ist natürlich individuell geprägt. Studien haben aber herausgefunden, dass mobil-flexible Arbeit in extremem Mass, also über einen längeren Zeitraum (z.B. fünf Tage die Woche zwischen verschiedenen Standorten und Arbeitsplätzen pendeln zu müssen) sich als Belastung zeigt. Ein mittleres Mass, also zwei Tage ausser Haus und zwei bis drei Tage vor Ort, hat sich als guter Richtwert herausgestellt.

Was sind die grössten Herausforderungen der Zukunft?

Ich glaube, mobil-flexibles Arbeiten wird sich einpendeln. Wir beobachten aber bereits jetzt, dass die physische Präsenz zu einem knappen Gut wird. Dieses knappe Gut wird gut organisiert werden müssen in einer Welt, in der wir vermehrt mit Maschinen zusammenarbeiten.

Gespräch: Hansjörg Schmid

Montag, 08. Apr 2019

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Zur Person

Professor Dr. Hartmut Schulze ist Arbeitspsychologe, er leitet das Institut für Kooperationsforschung und –entwicklung und ist Mitglied der Leitung der Hochschule für Angewandte Psychologie der Fachhochschule Nordwestschweiz.

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