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Das Online-Magazin der Angestellten Schweiz

Wenn sich mehr arbeiten nicht rechnet

Viele Paare mit kleinen Kindern verspüren keinen Anreiz, ein Zweiteinkommen zu erzielen oder in höheren Pensen zu arbeiten. Dies, weil das zusätzliche Einkommen von den Kinderbetreuungskosten fast oder ganz aufgefressen wird. Für unsere Volkswirtschaft ist dies in Zeiten des sich stark akzentuierenden Fachkräftemangels äusserst schädlich. Die Politik muss vorwärtsmachen – Lösungsvorschläge gibt es. Eine Einordnung.

Gemäss dem Bundesamt für Statistik wird ein Drittel der unter 13-jährigen Kinder neben der Familie von Grosseltern betreut. Diese sind somit ein wichtiger Pfeiler der Kinderbetreuung, neben den Kindertagesstätten und den schulergänzenden Angeboten, die auch je einen Drittel ausmachen. Wer die Kinder den Grosseltern anvertrauen kann, hat Glück und eine grosse Sorge nicht: nämlich die um die Kosten für die Kinderbetreuung. Diese sind in der Schweiz deutlich höher als in anderen Ländern, so dass sich ein Zweiteinkommen oder eine Erhöhung von Arbeitspensen zumindest für das Haushaltseinkommen nicht lohnt. Dieses würde kaum oder gar nicht steigen und im schlechtesten Fall sogar sinken. Aus anderen Gründen lohnt sich ein Zweiteinkommen oder höheren Arbeitspensum allerdings durchaus, mehr erfährst du dazu im letzten Teil dieses Beitrags.

Die Gründe für die Hohen Betreuungskosten sind vielfältig. Gemäss einem Bericht der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF) gibt die öffentliche Hand in der Schweiz von allen OECD-Ländern am wenigsten Geld für Kitas und Tagesfamilien aus: nur gerade 0,4% des Bruttoinlandprodukts (BIP). Dem Spitzenreiter Dänemark hingegen ist die frühkindliche Betreuung 2% des BIP wert.

Der EKFF-Bericht zeigt auch auf, dass die Schweiz in Bezug auf den Anteil, der an den Betreuungskosten übernommen wird, äusserst knausrig ist. Im Schnitt sind es 40%, oft aber kann es weniger sein. Die anderen OECD-Länder gewähren im Schnitt zwischen 65 und 98%.

Flickenteppich

Die Situation verkompliziert sich für betroffene Paare noch dadurch, dass die Finanzierungsanteile von Kanton zu Kanton und auch von Gemeinde zu Gemeinde höchst unterschiedlich sind. Ebenso die Steuerabzüge, die geltend gemacht werden können. So variieren die Tarife für Kindertagesstätten in 13 im EKFF-Bericht untersuchten Gemeinden beim Minimaltarif zwischen 4 und 42 Franken und beim Maximaltarif zwischen 42 und 128 Franken. Was die Steuern betrifft können im Wallis lediglich 3000 Franken pro Jahr und Kind geltend gemacht werden, in den Kantonen St. Gallen und Genf 25 000 Franken und in Uri der volle Betrag. Je nach Wohnort geben Paarhaushalte zwischen 3 und 15% des Haushaltbudgets für die Betreuung zweier Kinder an drei Tagen pro Woche aus, Einelternhaushalte sogar bis 20%.

Weitere Ungerechtigkeiten entstehen durch die meist einkommensabhängigen Tarife für Kinderbetreuungseinrichtugen. Diese sagen gemäss EKFF wenig aus über die effektive Haushaltsbelastung der Eltern. Darum kann es zu Verzerrungen kommen, die gerade den Mittelstand über Gebühr belasten können. Dazu kommt, dass subventionierte Betreuungsplätze fast immer rationiert sind – wer zu spät kommt, hat das Nachsehen.

Fachkräftemangel verschärft sich

Die volkswirtschaftlichen Folgen eines (Teil-)Verzichts auf Arbeit vieler Berufstätiger sind dramatisch. Gemäss einer Analyse von Dynajobs in Zusammenarbeit mit den Angestellten Schweiz fehlen bis 2025 in unserem Land 365 000 Fachkräfte. Bis 2035 werden es noch viel mehr sein.

Gewisse bisherige Rezepte, um den Fachkräftemangel auszugleichen, funktionieren nicht mehr. So wird es immer schwieriger, Fachkräfte aus dem Ausland zu rekrutieren, denn auch dort werden sie dringend gebraucht – das Problem ist global. Was aber möglich ist, ist das Potenzial im Inland besser auszuschöpfen. Dieses ist gerade bei Frauen und bei Teilzeit arbeitenden Frauen und Männern klar vorhanden.

Angesichts dieser Tatsachen erstaunt es sehr, dass wir in der Schweiz in Sachen Kindebetreuung noch immer nicht weiter sind. Leisten können wir es uns eigentlich nicht und der Handlungsbedarf ist dringlich. Zumal der Beweis dafür, dass sich eine Investition in Betreuungsangebote rechnet, in einer Studie von BAK Economics im Auftrag der Jacobs Foundation bereits 2020 erbracht wurde. Würde man über einen Zeitraum von zehn Jahren 21 000 zusätzliche Plätze in Kitas und Tagesfamilien schaffen, würde dies knapp 800 Millionen Franken kosten, das BIP würde dann aber jährlich um 0,5% respektive 3,4 Milliarden Franken steigen.

Lösungsvorschläge in Hülle und Fülle

«Die Schweiz ist in Sachen Finanzierung von Fremdbetreuung ein Entwicklungsland», stellt Kathrin Bertschy gegenüber der Zeitschrift elleXX fest. Sie ist GLP-Nationalrätin und Co-Präsidentin des Frauendachverbands Alliance F. Bertschy stört sich daran, dass immer noch ein patriarchales Familienmodell der Nachkriegszeit unterstützt werde. Das führe zu Rahmenbedingungen, welche Frauen dazu zwingen würden, auf ihren Beruf oder zumindest auf ihr Wunschpensum zu verzichten.

An Ideen, wie man das Malaise beheben könnte, mangelt es nicht. Die SP-Nationalrätin Min-Li Marti hat im Juni 2021 eine Motion eingereicht, die verlangt, dass die Kosten für die familienexterne Kinderbetreuung die Haushaltsbudgets nicht mit mehr als 10 Prozent belasten dürfen. Der Bundesrat empfiehlt sie zur Ablehnung…

Der Arbeitgeberverband hat die Zeichen der Zeit erkannt: «Der Staat muss Rahmenbedingungen in Form von steuerlichen Anreizen und bedarfsgerechten, qualitativ guten und finanziell attraktiven Kinderbetreuungsangeboten sicherstellen und finanzieren», wird er in der elleXX zitiert. Der Verband setzt sich denn auch für eine bessere Vereinbarkeit ein.

Für Kathrin Bertschy sind Kitas schlichtweg «systemrelevant». Sie fordert einen nationalen Fonds, in den Bund, Kantone und Gemeinden anteilmässig einzahlen und aus dem die Kosten gedeckt werden. Die Anteile der Eltern an den Kita-Kosten sollen dadurch so massiv sinken, dass sie nicht mehr als 30 bis 50 Franken pro Kind und Tag kosten.

Eine ganze Reihe von Handlungsempfehlungen findet sich auch im Bericht der EKFF. Die wichtigsten sind: Ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz soll gesetzlich verankert werden, ebenso Finanzhilfen des Bundes zur Senkung der Elterntarife. Drittbetreuungskosten sollen auf Bundes- und Kantonsebene vollumfänglich von den Steuern abgezogen werden können. Die Familiengrösse ist bei der Tarifberechnung zu berücksichtigen. Als Ergänzung zum Mutter- und Vaterschaftsurlaub soll es eine Elternzeit geben. Betreuungsplätze sollen nicht mehr rationiert werden.

Natürlich sind solche Vorschläge politisch umstritten. Angesichts der Dringlichkeit des Handlungsbedarfs müssen sich die eidgenössischen Räte aber endlich zusammenraufen und endlich Lösungen auf die Schiene bringen.

Warum es sich trotzdem lohnt, in höheren Pensen zu arbeiten

Auch wenn es sich bezüglich des Haushaltseinkommens vorderhand nicht rechnet, gibt es dennoch diverse Gründe, warum es sich eben doch lohnt, mehr zu arbeiten. Einer ist sogar finanzieller Natur: Wer mehr arbeitet, zahlt mehr in die Pensionskasse und die dritte Säule ein – und hat dann wenigstens nach der Pensionierung etwas davon.

Aber auch der eigenen Arbeitsmarktfähigkeit und Karriere ist (mehr) zu arbeiten klar förderlich. Es kann ja immer noch Teilzeit sein und die Work-Life-Balance muss darunter nicht leiden.

Wer (in höheren Pensen) arbeitet hält sich zudem geistig fit und bewahrt sich seine Skills – oder hat die Möglichkeit, diese zu erweitern.

Weiter sind die Gespräche am Familientisch am Abend interessanter, wenn beide von der Arbeit etwas zu erzählen haben. Moderne Familienmodelle können besser gelebt werden, wenn beide Partner eine Erwerbsarbeit haben und die Betreuung der Kinder teilen.

Nicht zuletzt profitieren die Kinder in ihrer Entwicklung davon, wenn sie in einer Kita unter andere Kinder kommen und sich mit ihnen austauschen. Dies stärkt gemäss der zitierten BAK-Studie ihre Kompetenzen.

Wir möchten dich also motivieren, trotz der noch unbefriedigenden Situation in höheren Pensen zu arbeiten, wenn es für dich möglich ist. Die Angestellten Schweiz machen dafür der Politik Beine, damit dir trotz Kinderbetreuungskosten hoffentlich bald mehr Geld im Portemonnaie bleibt.

Hansjörg Schmid

Dienstag, 15. Feb 2022

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