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Ting – Ideen realisieren dank Grundeinkommen auf Zeit

Warum eigentlich realisieren nicht mehr Menschen coole, neue Geschäftsideen und Projekte? An Ideen mangelt es nicht, aber sehr oft an einem Einkommen, das ihre Existenz während der Aufbauphase sichert und ihnen dadurch den notwendigen kreativen Freiraum gibt. Dem will die Plattform Ting Abhilfe verschaffen.

Die selbständige Illustratorin und Grafikerin Katrin von Niederhäusern will Filme machen. Für ein Studium ist sie aber nicht so der Typ, findet sie. Lieber will sie ihrem Traumberuf projektweise näherkommen. Einfach ausprobieren und «on the job» lernen. Dreh, Schnitt, Dramaturgie, Postproduktion. Aber dafür ginge wieder viel Freizeit und Erspartes drauf.

Ramona Schwarz, Modedesignerin, hat eine ganz praktische Idee für Frauen: Periodenunterwäsche. Sie muss die richtigen Materialien recherchieren und rechtliche Fragen abklären. Alles ganz schön aufwändig und teuer für die zweifache Mutter. Um es stemmen zu können, hätte Ramona ihr Arbeitspensum erhöhen müssen.

Weder Katrin noch Ramona mussten die befürchteten Opfer erbringen. Denn ihnen kam Ting zu Hilfe. Katrin konnte eine zwei- bis dreimonatige Auszeit nehmen und in dieser Zeit ein spannendes Filmprojekt realisieren. Und, wie sie auf der Website von Ting selbst schreibt, «einen ersten Fuss ins neue Berufsfeld setzen». Ramona konnte dank dem Zustupf von Ting ihr Arbeitspensum beibehalten. «Vor allem hat mir Ting aber den psychischen Stress genommen, wie ich die Anfangszeit finanziere», sagte sie gegenüber dem Newsletter des Migros Pionierfonds, der Ting unterstützt. Zusätzlich profitierte sie auch vom Ting-Netzwerk, von dem sie zum Beispiel Antworten zur Patentierung erhielt.

Die beiden Beispiele zeigen: Es braucht gar nicht so viel, damit Menschen ihre Ideen, Projekte, Träume realisieren können.

Ein Grundeinkommen, aber kein bedingungsloses

Ting nimmt den Gedanken des bedingungslosen Grundeinkommens auf, dass Menschen kreativer und glücklicher sind, wenn sie sich keine Sorgen um das Geld machen müssen. Vom Grundeinkommen, über das wir in der Schweiz schon einmal abgestimmt haben, unterscheidet es sich aber dadurch, dass es nicht bedingungslos und zeitlich begrenzt ist. Zudem zahlt man bei Ting auch Geld ein. Der Name Ting bezieht sich übrigens auf die altgermanischen Volksversammlungen, die der politischen Beratung, Gerichtsverhandlungen sowie kultischen Zwecken dienten (wobei mit dem Volk damals nur die freien Männer gemeint waren).

Gegründet wurde Ting vom Verein Grundeinkommen und dem Thinktank Dezentrum für Digitalisierung und Gesellschaft. Das System basiert auf einer digitalen Plattform und funktioniert folgendermassen: Ting besteht aus Mitgliedern, die monatliche Beiträge zahlen. Mit 10 Franken ist man Gönner*in, ab 50 Franken kann man ein Grundeinkommen für zwei Monate beantragen, ab 100 Franken für ein halbes Jahr. Bevor man einen Antrag stellt, muss man drei Monate einbezahlt haben. Die Maximalvariante umfasst sechs Monate zu 2500 Franken.

Das von Ting zur Verfügung gestellte Grundeinkommen ist nicht bedingungslos, indem es an ein Vorhaben gebunden ist. Wer einen Antrag stellt, hat mittels einer «Startertoolbox» ihre oder seine Idee konkretisiert und Ziele formuliert. Der Antrag wird auf Vollständigkeit und Stringenz geprüft und ein Gremium bestehend aus Ting-Mitgliedern und Ethiker*innen entscheidet dann, ob er die Ting-Kriterien erfüllt und ob das Vorhaben unterstützt wird.

Ein Modell wie Ting kann einen Beitrag dazu leisten, Menschen im Arbeitsmarkt zu halten, weil es ihnen ermöglicht, sich ohne riesigen Aufwand neue Berufsfelder zu erschliessen. Das Beispiel von Katrin von Niederhäusern zeigt dies auf. Damit würde Ting auch die Arbeitslosenversicherung entlasten.

Die Kraft der Community

Ting hat aktuell rund 200 Mitglieder, wobei viele unter ihnen aus idealistischen Gründen mitmachen und selber keine Anträge auf ein Grundeinkommen stellen. Seit der Lancierung vor etwa zwei Jahren wurden gegen 100 Grundeinkommen ausbezahlt.

Der Grundgedanke von Ting ist ein gemeinschaftlicher. Über die Plattform sollen Geld, aber auch Wissen ausgetauscht werden. «Wir wollen Menschen dabei unterstützen, sich weiterzuentwickeln, Raum für neue Ideen, Weiterbildungen oder Pausen zu schaffen», sagt Mitgründerin Ondine Riesen gegenüber den Migros-Pionierfornds-Newsletter. Gemeinsam sollen gesellschaftliche Innovationen entstehen.

Die Menschen, die bei Ting mitmachen, sind stark von Werten geprägt. Zum Beispiel Solidarität: «Wenn man die Benachteiligten, die Armen und Randständigen ins Zentrum der Gesellschaft nimmt und die Grundbedürfnisse von allen gedeckt sind, dann ist das eine Förderung für die gesamte Gesellschaft. Vielmehr, als wenn jeder selbst versucht, das Beste für sich selbst rauszuholen.» So äussert sich der Neurochirurg Christian Eisenring auf der Ting-Website. Er unterstützt Ting aus diesem Grund, nicht weil er selbst ein Grundeinkommen braucht.

Adrian Iten ist ebenfalls ein Unterstützer, der nicht auf ein Grundeinkommen angewiesen ist. Sein Traumprojekt, eine Kaffeebar, hat er schon längst umgesetzt. Ihm liegen seine Mitarbeitenden und Gäste am Herzen: «Ich will, dass meine Mitarbeitenden eine gute Zeit haben, während sie den Gästen eine gute Zeit verschaffen», bringt er es auf den Punkt.

Vor sechs Jahren lehnten die Schweizer Stimmbürger*innen ein staatliches bedingungsloses Grundeinkommen klar ab. Dass die Idee eines Grundeinkommens aber gut ist und funktioniert, zeigt jetzt Ting. Die Erfahrungen, die damit jetzt gemacht werden, werden wertvoll sein für weitere solche Projekte.

Hansjörg Schmid

Donnerstag, 21. Apr 2022

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