Selbstverwirklichung als Motivationsquelle
Die Mitarbeitenden sollen sich im Unternehmen Energie 360° mehr einbringen können. Erreichen will dies CEO Jörg Wild unter anderem mit dem Grundsatz: vorne entscheiden.

Herr Wild, wie weit können Sie sich selbst in Ihrem Job verwirklichen?
Ich betrachtete meinen Job bisher nicht so, dass es um meine Selbstverwirklichung geht, aber es ist eine interessante Frage. Ich halte mich an die Devise von John F. Kennedy: Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für das Land tun kannst. Ich versuche, mich so einzubringen, dass sich das Unternehmen, die Mitarbeitenden und Kunden gut entwickeln. Wenn mir das mit meinen Ideen, Überzeugungen und Grundsätzen gelingt, dann stimmt es für mich.
Sie haben aber schon das Gefühl, dass Sie sich dabei selber verwirklichen können?
Selbstverständlich, im Rahmen der mir gegebenen Möglichkeiten und Vorgaben seitens des Verwaltungsrats.
Was sind für Sie die Faktoren, die es ermöglichen, dass Sie sich in Ihrer Position selbst verwirklichen können?
Wenn man sich auf Chefstufe darauf konzentriert, Rahmenbedingungen abzustecken, Zielvorgaben zu machen und ein gemeinsames Verständnis dafür zu schaffen, wo man gemeinsam hinwill, dann entsteht für alle mehr Freiraum für Selbstverwirklichung.
Wie wichtig ist es Ihnen, dass sich Ihre Mitarbeitenden bei der Arbeit selbst verwirklichen können?
Es kann nie darum gehen, Selbstverwirklichung um jeden Preis zu ermöglichen. Wenn Selbstverwirklichung als Egotrip verstanden wird, ist das sicher falsch. Ich sehe darum Selbstverwirklichung nicht als Selbstzweck der Menschen, die bei uns arbeiten. Sie ist aber eine starke Kraft, aus der Mitarbeitende Motivation beziehen. Wenn es gelingt, dass sich die Menschen zugunsten der Unternehmung, der Kunden und der Arbeitskolleginnen und -kollegen einbringen können, dann erreicht man die perfekte Balance. Es ist für ein Unternehmen ein Riesenvorteil, Mitarbeitende zu haben, die ihre Ideen, Überzeugungen und Motivation einbringen können.
Wo liegen die Herausforderungen?
Die Herausforderung ist sicherzustellen, dass die Ideen der Angestellten mit den übergeordneten Unternehmenszielen übereinstimmen. Nur wenn man den Rahmen richtig setzt, können die Ziele der Angestellten und des Unternehmens zusammenkommen. In der heutigen Zeit fragen wir ja vermehrt nach dem Sinn, also auch nach dem Sinn und Zweck einer Unternehmung. Wenn diese sinnstiftende Ziele vorgibt, dann passt es für die Mitarbeitenden und sie können sich verwirklichen. Das Unternehmen bringt ihnen damit einen Mehrwert.
Was tun Sie in Ihrem Unternehmen, damit Ihnen dies gelingt?
Wir haben dazu ein breit angelegtes Programm angestossen. Wir wollen alle gemeinsam an diesem Thema arbeiten. Das wird uns in den nächsten Jahren beschäftigen. Es geht nun darum, Führungskräfte und Mitarbeitende betreffend ihres eigenen Beitrag zum Erfolg zu sensibilisieren und damit verbunden Erfahrungen zu sammeln, Hindernisse wegzuräumen, an der Führungskultur und am Führungsmodell zu arbeiten.
Welche Beispiele für Hindernisse können Sie nennen?
Dies können Kompetenzregelungen sein – wer welche Reglemente oder Verträge unterschreibt, aber auch Reglemente, Abläufe usw.
Sie sagen, dass Sie die Führungskultur entwickeln möchten. In welche Richtung?
Mit unserem Motto „vorne entscheiden“ sollen die Führungskräfte den Mitarbeitenden noch mehr Vertrauen schenken, ihnen mehr Kompetenzen und Verantwortung geben. Wichtig dabei ist, dass wir mit Fehlern, die daraus entstehen können, konstruktiv umgehen und daraus lernen. Mit einer Nullfehlertoleranz wird man den Kulturwandel nämlich nicht hinbekommen.
Auch das Führungsmodell wollen sie weiterentwickeln. Streben Sie ein neues an?
Wir wollen unser Führungsmodell nicht ersetzen. Was wir aber tun: Wir wollen wie gesagt nach dem Grundsatz „vorne entscheiden“ arbeiten. Das heisst, diejenigen Mitarbeitenden, die nahe an der Sache, dem Kunden, der Technik dran sind, sollen nach Möglichkeit entscheiden. Aber natürlich nicht nach Lust und Laune oder weil man sich auf originelle Art selbst verwirklichen will, sondern vor dem Hintergrund, was gut ist für die Kunden und das Unternehmen. Ebenso wichtig ist, dass sich die betroffene Person den Entscheid zutraut und sich dabei wohl fühlt.
Wird es auch formale oder organisatorische Anpassungen geben?
Wir werden sicher in unseren Dokumenten und Regelungen, die einen anderen Geist atmen, beseitigen oder anpassen. Wir führen aber kein grundsätzlich anderes Organisationsmodell ein.
Wie gehen Sie damit um, wenn jemand gar nicht mehr Verantwortung übernehmen will?
Wir wollen niemanden überfordern und auch keine Verantwortung abschieben. Wir führen die Mitarbeitenden sukzessive an das „vorne entscheiden“ heran.
Wie wollen Sie das erreichen?
Wir möchten unseren Grundsatz als Führungskräfte vorleben und müssen uns bewusst sein, dass wir – für eine erfolgreiche Umsetzung – kontinuierlich dranbleiben müssen.
Welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?
Wir Führungskräfte werden auf das Thema angesprochen. Die Mitarbeitenden reflektieren es und es hat begonnen zu wirken. Die Reaktionen waren positiv, auch wenn einige etwas verunsichert sein mögen.
Wie reagieren Führungspersonen, die jetzt vielleicht weniger zu entscheiden haben?
Klar, ein Teil der Führung ist das Entscheiden. Zur Führung gehört aber auch, Leute zu entwickeln, zu coachen, zu befähigen, selber Entschiede zu fällen. Das ist die wertvollste Führungsrolle und ermöglicht es Menschen, sich selber zu verwirklichen.
Ein kollegiales Führungsmodell haben Sie nicht ins Auge gefasst?
Ich glaube, wir haben einen sehr kollegialen Umgang. Mit unserem Grundsatz, ganz vorne zu entscheiden, können wir dies verstärken. Das klassische Hierarchie-Leiterlispiel wird automatisch an Bedeutung verlieren.
Interview: Hansjörg Schmid
Zum Unternehmen Energie 360°
Der Anbieter von Energielösungen Energie 360° gehört mehrheitlich der Stadt Zürich. Mit einem starken Fokus auf erneuerbare Energien und einer breiten Palette an Produkten und Dienstleistungen im Energiebereich leistet das Unternehme einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der 2000-Watt-Gesellschaft in Zürich und der Energiestrategie 2050 des Bundes.