Bundesgericht entscheidet zugunsten älterer Angestellter
Schwaches Signal in die richtige Richtung
Ältere und langgediente Arbeitnehmer einfach so auf die Strasse stellen – das geht nicht, hat das Bundesgericht entschieden. Ein Urteil, das hoffentlich Wirkung entfaltet.

Wer in der Schweiz mit über 55 die Stelle verliert, ist in einer misslichen Lage. Die Arbeitslosigkeit dauert bei dieser Arbeitsgruppe nämlich viel länger als bei Jüngeren. Und ab 60 findet in der Regel nur noch jeder sechste eine neue Stelle. Leider kümmert dies viele Arbeitgeber nicht, Entlassungen über 50-Jähriger sind an der Tagesordnung.
Das Bundesgericht hat im letzten Jahr einen wegweisenden Entscheid zu Gunsten älterer Angestellter gefällt (Urteil 4A_384/2014). Die obersten Schweizer Richter stuften die Entlassung eines 59-Jährigen Kadermitarbeiters, der mit Unterbrüchen 35 Jahre für sein Unternehmen tätig gewesen war, als missbräuchlich ein. Obwohl es mit dem Kaderangestellten an der Arbeit zu Konflikten gekommen war, erachtete das Bundesgericht seine Entlassung als nicht gerechtfertigt. Gegenüber älteren und langjährigen Mitarbeitern treffe den Arbeitgeber nämlich eine erhöhte Fürsorgepflicht, befanden die Richter.
Konkret heisst das, dass ein Arbeitgeber den Mitarbeitenden über seine Kündigungsabsichten informieren und ihm das rechtliche Gehör gewähren muss. Weiter ist der Arbeitgeber verpflichtet, nach Lösungen zu suchen, um das Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten. Unterlässt er das, ist eine Kündigung missbräuchlich.
Urteil führt zu Sensibilisierung
„Das ist ein Signal in die richtige Richtung, wenn auch ein schwaches“, sagt Christof Burkard, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Rechtsdienst der Angestellten Schweiz. Schwach findet er das Signal, weil dem Kaderangestellten als Entschädigung für die missbräuchliche Kündigung lediglich zwei Monatslöhne zugesprochen wurden. Dennoch glaubt Burkard, dass das Urteil zu einer Sensibilisierung in Bezug auf die Behandlung älterer Mitarbeitender führen wird. Gerade wenn es um langjährige Angestellte geht, erwartet er eine gewisse Wirkung auf die Arbeitgeber.
Auch wenn sich das Bundesgericht jetzt ein arbeitnehmerfreundliches Urteil gefällt hat – das Kündigungsrecht der Schweiz bleibt liberal. Ein stärkerer Kündigungsschutz ist noch lange nicht im Gesetz festgeschrieben – wenn er es je wird. Das liberale Kündigungsrecht in der Schweiz gilt bei Wirtschaftsvertretern als Standortvorteil und niemand möchte Verhältnisse wie in Frankreich oder Italien. Dort werden Arbeitskräfte wegen des starken Kündigungsschutzes oft nur zurückhaltend fest eingestellt. Die Folge sind für die Arbeitnehmer eher prekäre als sichere Arbeitsverhältnisse.
Kündigungsschutz behutsam ausbauen
„Ich finde es eine Überdehnung unserer Schweizer Kündigungsfreiheit, wenn verdiente ältere Angestellte leichtfertig gekündigt werden“, sagt Christof Burkard. Er würde für dieses Angestelltensegment einen verbesserten Kündigungsschutz begrüssen. Ihm schwebt ein ähnlicher Schutz wie für gewählte Arbeitnehmervertreter vor: Arbeitgeber müssen, um eine Kündigung zu rechtfertigen, nachweisen, dass der Arbeitnehmer wegen ungenügender Leistungen oder aus ähnlichen Gründen entlassen wurde.
Der Leiter Rechtsdienst glaubt nicht, dass das erwähnte Bundesgerichtsurteil mit der leichten Verbesserung des Kündigungsschutzes negative Auswirkungen auf die Anstellung älterer Mitarbeiter hat. „Dafür ist der Schutz zu schwach“, sagt Christof Burkard. Für die älteren Angestellten sei die Wirkung jedoch positiv.
Die Lobbyorganisation „50plus out in Work“ findet, ein stärkerer Schutz solle generell für ältere Angestellte gelten, unabhängig von den Dienstjahren. Eine lange Betriebszugehörigkeit sei heute oft gar nicht mehr erwünscht. Dies mag stimmen, dennoch ist es aus Sicht der Angestellten Schweiz ein zweischneidiges Schwert: Würde der erhöhte Schutz auch für Angestellte mit nur drei Monaten oder einem halben Jahr Betriebszugehörigkeit gelten, könnte dies dazu führen, dass ältere Angestellte gar keine Einstellungschancen mehr hätten. Denn in diesem Fall könnten Arbeitgeber Mitarbeitende nach der Probezeit oder etwas darüber hinaus nicht mehr so einfach entlassen, wenn sie sich als für den Job ungeeignet erweisen. Ab wie vielen Betriebsjahren eine erhöhter Kündigungsschutz gelten müsste, wäre zu definieren.
Wie gross die Wirkung des Bundesgerichtsurteils in der Schweizer Arbeitswelt sein wird, wird sich weisen. Es wird aber hoffentlich dazu beitragen, der Politik und der Wirtschaft Beine zu machen, wenn es um das Thema ältere Arbeitnehmer geht.
Hansjörg Schmid