Qualifizierte Jobs verlassen die Schweiz
Wurden bisher vor allem anspruchslose Arbeiten ins Ausland verlagert, trifft es nun plötzlich qualifizierte Arbeitsstellen. Eine beunruhigende Entwicklung.
Sprach man hierzulande die Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland an, dann meinte man einfache Arbeiten, die in Billiglohnländer verlagert wurden. Man hatte Montagepersonal vor Augen, das serielle, wenig qualifizierte Arbeitsschritte ausführte. Zahlreiche Unternehmen zwischen Romanshorn und Genf hatten schon vor Jahren die wenig anspruchsvolle Fertigung ins kostengünstige Ausland verlagert. In die Slowakei oder Türkei, nach Polen, Rumänien, China. Es wurde schweren Herzens hingenommen, solange die qualifizierten Tätigkeiten mit hoher Wertschöpfung hier blieben.
Harter Franken lässt Dämme brechen
Diese eingeschränkte Verschiebung von Arbeitsplätzen war einmal. Die neuste Entwicklung geht in eine ganz andere Richtung: Zunehmend werden auch anspruchsvollere Tätigkeiten verlagert. Plötzlich wird über Generationen gehütetes Spezial-Know-how Schritt um Schritt ins Ausland verlegt. Einige Beispiele: Sauter Basel plant die Verlegung eines grossen Teils ihres Engineerings. Der Werkzeugmaschinenhersteller Starrag Heckert tat es schon. Bisher in Winterthur geleistetes Schiffsmotorenengineering wird von Wärtsilä heute in die halbe Welt vergeben. Ganze Produktionen wurden integral ins Ausland verschoben, unter anderem bei BOA oder der Papierfabrik Cham. Mit den Jobs verlassen Ingenieure und Spezialisten die Schweiz, nicht nur die Fertigungsverantwortlichen.
Helpdesk in Polen, Buchhaltung in der Slowakei
Dazu kommt, dass die grossen multinationalen Konzerne, wie sie heute in der Schweiz vorherrschen, schon seit einiger Zeit gezielt Dienste in andere Länder verlagern. Wir müssen einsehen, dass die Schweiz zwar nach wie vor ein unabhängiges Land ist, aber die Schweizer Betriebe der internationalen Firmen es nicht mehr sind. Helpdesks für unsere IT-Probleme stehen heute in Portugal, Polen oder der Slowakei. Die Lohnbuchhaltung kann irgendwo auf der Welt erledigt werden. Das Beispiel Swissair –Buchungsdienstleistungen wurden schon vor Jahrzehnten nach Indien verlagert – hat Schule gemacht.
Was hat diese plötzliche Entwicklung ausgelöst? Sicher spielt der Franken-Euro-Kurs eine Rolle. Wahrscheinlich senkt auch die drohende Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative die Hemmungen der Manager, sich für eine Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland zu entscheiden.
Schweizer Industrie zerfällt in Inseln
Diese Entwicklung stimmt äusserst nachdenklich. Mit den Arbeitsplätzen geht ein riesiges Spezialwissen verloren, und damit verschwinden zahlreiche Berufsprofile, welche gerade die Stärke der Schweizer Industrie ausgemacht haben. Spezialisten für Papierwalzen ebenso wie Testexperten für Dieselaggregate. Unsere Industrie baute stark auf sich selbst auf, sie befruchtet sich gegenseitig. Das war ihre innere Logik. Nun zerfällt sie in einzelne Inseln. Wer das beobachtet, muss erschrecken.
Es braucht eine nachhaltige Politik
Es stehen Wahlen ins Haus und viele Wähler fürchten um die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Landes – vor allem aber um ihren Arbeitsplatz. Jetzt muss dringend etwas für unsere Industrie getan werden. In vielen Konzernen wird Schlüssel-Know-how gerade in diesen Stunden verlagert. Die Angestellten Schweiz fordern deshalb von den Unternehmen und insbesondere den Arbeitgeberverbänden eine nachhaltige Politik, die unsere industrielle Zukunft nicht gefährdet. Verlagerungen sollen im Rahmen der Sozialpartnerschaft verhandelt und umgesetzt werden und nicht in Salamischeiben klammheimlich, wie es zur Zeit auch der Fall ist. Es geht um nichts weniger als unsere Zukunft als Industrienation.
Christof Burkard, Stv. Geschäftsführer Angestellte Schweiz
Stellungnahme in den Medien
Lesen Sie unsere Medienmitteilung zur Verlagerung von Arbeitsplätzen bei ABB und Chocolat Frey.