Personalrekrutierung: den Menschen wieder ins Zentrum stellen
Automatisieren die einen Unternehmen die Rekrutierung von Mitarbeitenden mittels künstlicher Intelligenz, stellen andere den Menschen wieder in den Mittelpunkt. Sie treffen die Bewerber im Café.

„Besser rekrutieren dank künstlicher Intelligenz“, damit wirbt HireVue im Internet. Das Unternehmen hat ein System entwickelt, das Videointerviews mit künstlicher Intelligenz kombiniert, um die Unternehmen bei der Suche nach den besten Kandidaten zu unterstützen. Unter den zahlreichen Kunden finden sich Namen wie Unilever, IBM und BASF. Die Welt digitalisiert sich und die Human Resources ziehen mit: Algorithmen, künstliche Intelligenz und Chatbots werden von Unternehmen vermehrt eingesetzt, um die rare Perle zu finden. HireVue ist nur ein Werkzeug unter anderen (siehe auch „Human Resources 4.0“).
Auch wenn sich die Digitalisierung verstärkt, der Mensch wird nicht so schnell aus der Unternehmenswelt verschwinden. Diversen Unternehmen ist dies bewusst und sie stellen bei der Rekrutierung wieder den Menschen ins Zentrum. Sie wollen bei der Rekrutierung auf die Kandidaten zugehen. In der Romandie wurde dafür das Projekt Café Pro lanciert.
Auf die Kandidaten zugehen
2017 initiiert durch zwei motivierte Unternehmerinnen – Paola Falce, Synergie-Ermöglicherin und Joanna Florey, Restaurateurin – stellt Café Pro den Menschen in den Mittelpunkt des Rekrutierungsprozesses. Das Projekt will in einem komplexen Arbeitsmarkt den sozialen Aspekt wieder stärker gewichten indem es Arbeitgeber und Kandidaten in einem Café zu einem Kaffee zusammenbringt, in ungezwungener, freundlicher Umgebung.
Café Pro ist ein grosser Erfolg: Mehr als 80 Unternehmen haben am Projekt schon mitgemacht, die Hälfte davon mehrfach. Sie sind in den unterschiedlichsten Branchen tätig. Die Krankenversicherung Konkordia, Migros, Nespresso, Schindler oder das Kantonsspital Freiburg haben das Verfahren des Café Pro angewendet. „Die Unternehmen kommen wieder, weil sie den Mehrwert der Vorgehensweise erkennen“, erklärt Paola Falce. Sie treffen Bewerber, die sie in einem klassischen Rekrutierungsprozess nie ausgewählt hätten.
Über den unpersönlichen CV hinaus
Ein Erfahrungsbericht eines Arbeitgebers auf der Website des Café Pro bestätigt dies: „Wir haben einen 63-jährigen Herrn eingestellt, zuerst mit befristetem, dann mit unbefristetem Vertrag. Wenn man bedenkt, dass er uns mehrmals Bewerbungen geschickt hat, erfolglos!“ Im Café Pro steht nicht der CV im Zentrum des Treffens zwischen Arbeitgeber und Bewerber. Es ist der Dialog, der Austausch zwischen zwei Personen. „Die Kandidaten sollen ihren CV trotzdem mitnehmen und können sie am Ende des Austauschs den Rekrutierenden abgeben“, erklären die Organisatorinnen.
„Heute genügt bei der Rekrutierung der klassische und unpersönliche CV nicht mehr, um die Persönlichkeit und das Know-how einzuschätzen“, betont Paola Falce. Diverse Arbeitgeber haben verstanden, dass sie nicht mit einer Serie von Diplomen und technischen Kompetenzen arbeiten, sondern mit Persönlichkeiten, die ihren Werdegang, ihre Motivationen und Sozialkompetenzen mitbringen.
Diese sind mindestens so wichtig, wie eine Studie des Kaufmännischen Verbands von 2016 zeigt. In der digitalisierten Arbeitswelt ist die Sozialkompetenz genauso notwendig wie technische Fähigkeiten. Mitarbeitende müssen nicht nur mit Technik vertraut sein, sondern auch mit Kunden umgehen können (siehe „Eine Berufsbildung mit Zukunft“).
Glückliche Rekrutierer und Kandidaten
Bei jeder Durchführung sind zehn bis zwölf Arbeitgeber dabei. Jeder von ihnen hat mindestens eine Arbeitsstelle zu besetzen. Diese sind auf der Website des Café Pro ausgeschrieben, zwei Wochen vor der Durchführung, damit sich die Kandidaten anmelden und gratis teilnehmen können. Seitens der Arbeitnehmenden sind es jeweils mehr als 200 Kandidaten. „Junge, weniger junge, Leute aus allen Fachgebieten – alle Berufsprofile sind vertreten“, erklärt Paola Falce.
Die Café-Begegnungen sind ein Erfolg. In zwei Jahren wurden im Café Pro in 16 Durchführungen rund 80 Rekrutierungen realisiert. „Dieses Ergebnis macht Freude, aber was uns noch mehr freut ist das Lächeln auf den Gesichtern der Kandidaten und Rekrutierer am Ende der Durchführung“, stellt Paola Falce zufrieden fest.
Menschlicher Faktor hat sich nicht aus der Arbeitswelt verabschiedet
Weitere Durchführungen sind in der Romandie in verschiedenen Städten geplant. In der Deutschschweiz hingegen ist das Café Pro ausser in den zweisprachigen Städten Biel und Freiburg noch nicht präsent. Sollte man sie anfragen, ob sie mit der Idee den Röstigraben überspringen würde, wäre die Antwort von Paola Falce positiv. Das Café Pro wolle die klassische Rekrutierung aber nicht ersetzen, sondern ergänzen, merkt sie noch an.
Das Bewerbungsdossier genauestens analysieren, künstliche Intelligenz anwenden oder die Bewerber im Café treffen – die Unternehmen müssen sich nicht auf eine Methode allein festlegen, sondern können diese kombinieren. Sie dürfen einfach nicht vergessen: Die Rekrutierung ist der Beginn einer Beziehung zwischen zwei Menschen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Virginie Jaquet