Digitalisierung der Arbeitswelt
„Ich verliere meinen Job sicher nicht an einen Algorithmus“
Der Elektroingenieur Marco Mailand hat bei ABB Algorithmen zur Arbeitserleichterung programmiert und eingeführt. Dass er deswegen bald selbst überflüssig werden könnte, befürchtet er nicht. Ganz im Gegenteil.
Herr Mailand, Sie haben uns eine Rückmeldung zu unserem Beitrag „Arbeitskollege Algorithmus“ im Newsletter vom Oktober 2015 gemailt. Sie schreiben, sie hätten bei ABB schon selber Algorithmen eingeführt. Wie muss man sich das vorstellen?
Manchmal braucht es nur eine oder vielleicht acht Programmzeilen, um einen Algorithmus zu kreieren, der einem die Arbeit wesentlich erleichtern kann.
Da reichen acht Zeilen?
Jein. In den acht Zeilen formuliert man die Aufgabe, welche die wichtige Arbeit erledigt. Ergänzend dazu braucht es einige Programmzeilen Vor- und Nachbereitung. Ein einfaches Beispiel, wie es im Internet der Dinge angewendet werden könnte: Man formuliert die einfache Regel: „Wenn die Temperatur 20 Grad überschreitet, Kühlung einschalten“. Bis es aber so weit kommt, dass dieser Arbeitsschritt ausgeführt wird, muss das Programm überhaupt erst mal gestartet werden, es müssen Messungen durchgeführt werden und am Ende muss das Programm wieder ordnungsgemäss geschlossen werden, um später wieder ohne Datenverlust benutzt werden zu können.
Was für einen Algorithmus haben Sie nun bei ABB eingeführt?
Er wertet die Impulse von zwei parallelen Messungen aus und erhöht oder verkleinert einen Zähler. Müsste man das von Hand machen, müsste man bei zweimal 600 Impulsen den Anstieg und das Abfallen anschauen. Das würde sehr lange dauern und wäre mühsam. Der Algorithmus macht es in Bruchteilen einer Sekunde. Er nimmt dem Menschen eine unzumutbare Aufgabe ab.
Wie zuverlässig wertet der Algorithmus diese Impulse aus?
Wenn die Messungen schön parallel laufen, sehr präzise. Wenn sie nicht genügend gut parallel laufen, bekommt er Schwierigkeiten. Allerdings könnte dann auch der Mensch die Impulse nicht mehr korrekt auswerten.
Der Algorithmus macht also die langweilige Arbeit, der Mensch die interessante. Geht das immer so schön auf?
Es ist ja der Mensch, der den Algorithmus programmiert. Er erleichtert sich damit die Arbeit. Er wird also Dinge programmieren, die ihm langweilige und wiederkehrende Aufgaben abnehmen.
Sie schrieben uns auch: „Wer sich selbst Arbeit sucht, sich ausbildet, um diese Arbeit zu erledigen und sie dann selbständig erledigt, wird nie seinen Job verlieren.“ Wie hat das bei Ihnen denn funktioniert?
Ich war seit dem Ende meiner Ausbildung noch nie arbeitslos. Ich habe mich stets weiterentwickelt. Nach der Lehrausbildung zum Elektromechaniker habe ich die Matura nachgeholt und ein Hochschulstudium der Elektrotechnik und Elektroenergieversorgung mit Spezialisierung Hochspannungstechnik sowie postgradualem Informatikstudium abgeschlossen. Heute arbeite ich vorwiegend mit der IT. So bin ich auch dazu gekommen, selbst Algorithmen zu programmieren.
Haben Sie keine Angst, dass Sie den Job eines Tages an einen Algorithmus verlieren werden?
Im Gegenteil. Wenn ich Algorithmen einsetze, um Prozesse zu verbessern, dann entwickle ich das System weiter. Ich bin dann der Experte auf diesem Gebiet und dadurch für den Arbeitgeber extrem wertvoll, ja ein Stück weit unentbehrlich. Konkurrenz erhalte ich höchstens, wenn ein Arbeitskollege kommt, der besser ist als ich. Mir nimmt eher ein Mensch den Job weg als ein Algorithmus.
Nun haben Sie das Glück, dass Sie Ingenieur sind und etwas von Algorithmen verstehen. Was aber macht der Buchhalter, der von Programmierung nichts versteht, wenn der Computer die Erfolgsrechnung in Zukunft selber ausstellt?
Die Buchhalter sind diejenigen, die mitbestimmen können, welche Aufgaben von Algorithmen übernommen werden könnten. Sie müssen neue Systeme einführen, sie müssen sie überwachen und dafür sorgen, dass alles korrekt läuft und sie müssen die Fehler finden und an die Programmierer melden. Sie müssen auch weiterhin die Entscheidungen treffen. Ich glaube nicht, dass es viel weniger Arbeit für die Buchalter geben wird. Aber die Aufgaben werden sich mehr in Richtung Management und Verbesserung der Prozesse und des Systems verlagern.
Wie schützen sich Angestellte Ihrer Meinung nach am besten davor, ihren Job wegen der Digitalisierung zu verlieren?
Indem sie sich weiterbilden und sich mit den Technologien der Zukunft auseinandersetzen. Jeder sollte sich darüber informieren, welche Tätigkeiten und Technologien eine Zukunft haben. Bei ABB haben wir regelmässig Gespräche mit unseren Vorgesetzten, bei denen wir immer auch besprechen, welche Weiterbildungen sinnvoll wären. Ich finde das eine gute Kultur.
Das hilft sicher vielen weiter. Was ist aber mit den Arbeitskräften, für die es sehr schwierig oder unmöglich ist, eine höhere Qualifikation zu erlangen?
Diese sind der Spielball und können ihre Stelle verlieren. Ob Arbeitsplätze verloren gehen, hängt aber meiner Meinung nach nicht so sehr von der Technik ab als viel mehr vom Management. Dieses entscheidet letztlich, ob Stellen ins Ausland verlagert oder ganz gestrichen werden. Die Technik kann zwar Arbeiten überflüssig machen, die bisher von Menschen ausgeführt wurden, sie schafft aber immer auch neue Arbeit, die meistens interessanter und anspruchsvoller ist.
Die ganz cleveren Algorithmen sind sogar in der Lage, zu lernen. Können Sie uns ein Beispiel geben?
Ein einfaches Beispiel wäre das automatische Einschalten des Lichts beim Auto, wenn es dunkel wird. Der Algorithmus kann sich merken, bei welcher Helligkeit der Fahrer jeweils das Licht einschaltet und dann kann er später selbst das Einschalten übernehmen. Ein anderes Beispiel ist das Ausfräsen von Werkstücken. Die Maschine kann dank einem gescheiten Algorithmus und bei bekannten Parametern für Maschine und Material selbst den optimalen Weg des Werkzeugs bestimmen und automatisch abfahren.
Zukunftsszenarien gehen davon aus, dass sich Algorithmen irgendwann sogar selber programmieren können. Wird nicht spätestens dann der Mensch als Arbeitskraft überflüssig?
(Wird nachdenklich) Es ist immer noch der Mensch, der solche Algorithmen programmieren muss. Das sind die anspruchsvollsten Programmieraufgaben, die man sich vorstellen kann. Aber bis das grossflächig kommt wird es noch lange dauern.
Interview: Hansjörg Schmid
Zur Person
Marco Mailand hat nach dem Lehrabschluss als Elektromechaniker die Matura nachgeholt und nach einem Hochschulstudium der Elektrotechnik und Elektroenergieversorgung mit Spezialisierung Hochspannungstechnik ein postgraduales Informatikstudium angehängt. Bei ABB ist Marco Mailand für die Messsysteme und Messdatenverarbeitung in den Laboren in Baden und Oerlikon zuständig, die für Entwicklungs- und Typprüfungen von Hochspannungs- und Generator-Leistungsschaltern benötigt werden.
„Mir nimmt eher ein Mensch den Job weg als ein Algorithmus.“
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Apunto 1/2015 zum Thema "Die digitale Revolution"
Beispiel Algorithmus
Den untenstehenden Algorithmus hat Marco Mailand programmiert (siehe Haupttext). Das Bild illustriert, was der Algorithmus ausführt.
Step = 0.25 deg