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Ich bin auch ein Wohnzimmer – das Büro nach Corona

Nach dem pandemiebedingten Home-Office möchten die Wenigsten zurück in die klassische alte Bürowelt, weder die Angestellten noch die Arbeitgeber. Wie sieht das Büro nach Corona aus? Wir zeigen dir die Trends und Entwicklungen auf.

Anfangs dieses Jahrtausends machte der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) mit einer originellen Werbekampagne Furore. Da stand zum Beispiel auf einer S-Bahn «Ich bin auch ein Schiff» oder auf einem Plakat mit einem Bus «Ich bin auch ein Zug». Damit machte der ZVV darauf aufmerksam, dass die Tickets des Verkehrsverbunds auf allen Transportmitteln gültig sind. Heute könnte man sich für das moderne Büro eine solche Kampagne denken: Ich bin auch ein Wohnzimmer. Ich bin auch eine Snackbar. Oder ein Café, eine Küche, ein Fitnesscenter, eine Lounge, ein Entspannungsraum. Sogar ein Garten oder Spielzimmer. Wurde das eigene Heim, beschleunigt durch die Coronapandemie, immer mehr zum Büro, werden nun die Büros nach der Pandemie immer mehr zum Heim. Was steckt dahinter?

Die Treiber

Hinter der Entwicklung der Büros hin zu multifunktionalen Räumlichkeiten steckt eine Reihe von Trends. Ganz zuvorderst derjenige zum Home-Office. In der Pandemie haben sich viele an dessen Annehmlichkeiten gewöhnt. Je nach zu erledigender Aufgabe sitzt man am Schreibtisch, auf dem Sofa oder im Garten und der Kühlschrank ist nie weit. Da steigen natürlich die Ansprüche ans Büro. Arbeitgeber müssen ihren Angestellten etwas bieten, wenn sie diese (teilweise) zurück ins Büro locken möchten.

Eine wichtige Rolle spielt auch die Digitalisierung, die viele neue Möglichkeiten insbesondere in der Kommunikation und Kooperation eröffnet. Dies wirkt sich auf die Gestaltung der Büroräumlichkeiten aus, die zum Beispiel mit grossen Bildschirmen ausgestattet werden.

Die Arbeitgeber machen ökonomische Überlegungen. Einerseits wollen sie den zur Verfügung stehenden Raum effizient nutzen, andererseits die Kreativität ihrer Angestellten und damit deren Produktivität fördern. So wird Desksharing immer mehr zum Normalfall und die Büros werden freundlicher, gemütlicher und wohnlicher.

Den Arbeitgebern ist es weiter ein Anliegen, dass sich ihre Mitarbeitenden untereinander austauschen und befruchten. Darum gestalten sie ihre Büros so, dass die Angestellten gerne dort hingehen und sich begegnen.

Moderne Büros sollen möglichst flexibel sein, dies erwarten auch die Mitarbeitenden. Büroeinrichtungen sind darum immer häufiger modular und vielseitig einsetzbar.

Nicht zuletzt kommen moderne Büros den Erwartungen der jüngeren Generationen entgegen und sie steigern die Attraktivität von Unternehmen als Arbeitgeber.

Das Büro 4.0

Alle diese Trends führen dazu, dass Büros heute nicht mehr einfach kleinere oder grössere Räume sind, in denen Schreibtische und Computer stehen. Vielmehr sind es ganze Landschaften mit unterschiedlichsten Zonen. Jede Zone ist für bestimmte Aktivitäten besonders geeignet und holt die verschiedenen individuellen Bedürfnisse der Arbeitenden ab. So gibt es Zonen für Begegnung, Zusammenarbeit, Projektarbeit, Denkarbeit, kreative Arbeit, Meetings, konzentriertes und fokussiertes Arbeiten, Telefonieren, Pausen oder Entspannung.

Büros sind heute oft nicht mehr am offiziellen Unternehmensstandort angesiedelt, sondern Unternehmen mieten Flächen in Bürogebäuden oder Coworking Spaces – die zunehmend in Vorstädten oder in den Bergen stehen. So kommen die dort Arbeitenden in einen Austausch mit Angestellten anderer Unternehmen, was die Kreativität und das Business beflügeln kann.

Diese Entwicklungen stehen dem Home-Office noch bevor. «Während die Gestaltung der traditionellen Büroarbeitsplätze in den letzten Jahrzehnten professionalisiert und optimiert wurde, wird beim Home-Office in den meisten Fällen improvisiert», hält die Studie OH! FFICE des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) fest. Im Gegensatz zu Küche oder Bad hätten sich noch keine Standards für das Büro zuhause etabliert. Das GDI rechnet aber damit, dass sich dies ändern wird. Die Etablierung des Home-Office betrifft aber auch den Wohnungsmarkt: Wer ein Haus oder eine Wohnung kauft oder mietet, muss darauf achten, dass es ein geeignetes Zimmer für Home-Office gibt.

Vitra machts vor

Das Birsfelder Unternehmen Vitra, das Büromöbel herstellt, die auch in vielen Wohnungen stehen, hat sich besonders viele Gedanken darüber gemacht, wie das Büro nach Corona aussehen soll. Vitra-Chefin Nora Fehlbaum verwandelte ihr Unternehmen gemäss NZZ Folio in ein «Forschungslabor, in dem sich Designer, Architekten und andere Kreative mit dem neuen Zeitalter der Arbeit befassen». Inspirieren liess sie sich von Vereinslokalen, «in denen Mitglieder viel Zeit verbringen und viel Energie in ihre Tätigkeit stecken».

Fehlbaum geht selbst mit gutem Beispiel voran und ermöglichte es ihren Mitarbeitenden, sich von der jeweiligen vorgesetzten Person und der Personalabteilung vier Arbeitstypen zuordnen zu lassen. Die Workplace Residents (Arbeitsplatz-«Bewohner») sind zu 100% vor Ort und arbeiten beispielsweise in der Produktion. Die Workplace Enthusiasts können zwar auch mal einen Tag zuhause arbeiten, sind aber grundsätzlich gerne im Büro. Der Typ Workplace Citizen («Bürger») kann gut die Hälfte der Arbeitszeit konzentriert zuhause arbeiten. Die Nomaden schliesslich sind eigentlich nie im Büro.

Weil Vitra weiss, zu welchen Typen die Angestellten gehören, kann es die Büroräumlichkeiten und die Bürogestaltung entsprechend besser planen.

Verschmelzung von Arbeit und Freizeit

Dass die Büros immer mehr Annehmlichkeiten bieten und man sich in ihnen bald so wohl fühlt wie zuhause, werden wohl die wenigsten bedauern. In ihrem Artikel «Zentrum der Macht» über das Büro der Zukunft im NZZ Folio vom Januar 2022 stellen die Autorin Aline Wanner und der Autor Michael Schilliger allerdings eine in diesem Zusammenhang wichtige Frage: «Wenn es so aussieht wie das Zuhause und das Zuhause wie das Büro, werden wir uns irgendwann fragen, wo wir uns gerade befinden: bei der Arbeit oder in der Freizeit?» Sie sprechen damit das Thema der Verschmelzung von Arbeit und Freizeit an. Ist diese des Teufels? Man kann diese Frage nicht generell beantworten, weil die Menschen ganz unterschiedlich funktionieren. Für gewisse ist die Verschmelzung tatsächlich belastend und ein grosser Stressfaktor. Für andere hingegen ist der stetige Wechsel zwischen Arbeit und Freizeit geradezu ein Lebensantrieb und sie möchten nimmer darauf verzichten. Wieder andere liegen zwischen diesen Polen. Die Entscheidung, ob und wie sie Arbeit und Freizeit abgrenzen möchten, soll darum den Berufstätigen selbst überlassen werden. Niemand soll zu etwas gezwungen werden.

Bleibt ganz zum Schluss noch die Frage: Was passiert, wenn sich das Büro zunehmend in die virtuelle Welt verschiebt, ins Metaversum? Braucht es dann die schönen neuen Bürolandschaften überhaupt noch? Wir werden sehen. Aber es wäre schade, wenn wir uns nur mehr virtuell begegnen würden.

Hansjörg Schmid

Mittwoch, 22. Jun 2022

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