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Das Online-Magazin der Angestellten Schweiz

„Für die kleine Schweiz sind arbeitsbezogene internationale Beziehungen sehr wichtig“

Nicht nur in der Politik und Wirtschaft pflegt die Schweiz rege internationale Beziehungen, auch im Bereich der Arbeit und Arbeitsbedingungen. Valérie Berset Bircher, Leiterin Internationale Arbeitsfragen beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, erklärt im Interview, wie sich diese gestalten und warum sie wichtig sind.

Valérie Berset Bircher, was sind Ihre Aufgaben als Leiterin Internationale Arbeitsfragen beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco?

Ich bin Mitglied der Direktion für Arbeit im Seco –als erste Frau. Die wichtigste Aufgabe ist die Repräsentation der Schweiz in der internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO). Einmal pro Jahr, im Juni, gibt es eine internationale Arbeitskonferenz. Seit eineinhalb Jahren bin ich auch Mitglied des Vereinigungsfreiheitskomitees (Committee of the Freedom of Association). Dabei handelt es sich um einen speziellen Kontrollmechanismus der ILO. Darin sitzen je neun Vertreter der Regierungen, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Sie behandeln Klagen in Bezug auf die Gewerkschaftsfreiheit. Weiter haben wir die Co-Verantwortung für den nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte, zusammen mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA. Dieses Jahr erarbeiten wir einen neuen Aktionsplan, der ab nächstem Jahr umgesetzt wird. Ich bin zudem verantwortlich für verschiedene Organe der UNO, wenn es um die Vertretung der Schweiz in speziellen sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten geht. Zum Beispiel für den UNO-Pakt 1 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Dann betreuen wir zusammen mit unseren Kollegen von der Wirtschafts- und Entwicklungszusammenarbeit im Seco sowie der ILO verschiedene Entwicklungsprojekte im Ausland. Wir führen auch im Rahmen von bilateralen Vereinbarungen einen Dialog über Arbeit und Beschäftigungsfragen. Schliesslich sind wir verantwortlich für die Ratifizierung von ILO-Konventionen. Dazu gelangen wir an die Eidgenössische Kommission für ILO-Angelegenheiten, anschliessend kommt das Geschäft ins Parlament. Wenn die Konvention ratifiziert ist, müssen wir Berichte zur Umsetzung verfassen.

Internationale Beziehungen sind sehr wichtig für die Schweiz. Dabei denkt man in erster Linie an die Wirtschaft und die Politik. Welche internationalen Beziehungen unterhält die Schweiz in Bezug auf die Arbeit und die arbeitende Bevölkerung?

Wir pflegen diese Beziehungen einerseits über die ILO mittels tripartiter Delegation. Wir treffen uns dort drei, vier Mal pro Jahr mit anderen Delegationen, Arbeitgebervertretern und Gewerkschaften und vertiefen verschiedene Themen. Weiter führen wir mit verschiedenen Ländern einen bilateralen Dialog, oft im Zusammenhang mit Freihandelsabkommen.

Welche Länder sind das?

Aktuell China, Vietnam und Myanmar, seit Kurzem auch Indonesien. Wir sehen das Potenzial, sozial und arbeitsrechtlich etwas zu verbessern.

Wie ist der Austausch mit der EU, unserem wichtigsten Handelspartner?

Entwicklungszusammenarbeit steht bei der EU nicht im Vordergrund – wir teilen ja die Werte – und das Seco ist da weniger involviert. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI hat jedoch Projekte mit EU-Ländern in der Berufsbildung, zum Beispiel mit Österreich oder Deutschland. Was Arbeitsmarktfragen betrifft, vertritt das Seco die Schweiz regelmässig an informellen Ministertreffen des EU-Rates für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Konsumentenschutz (EPSCO).

Was sind die Chancen dieser Beziehungen?

Wenn wir nachhaltig sein wollen, müssen wir einen internationalen Dialog über Arbeits- und Arbeitsmarktfragen führen, nicht nur über Wirtschaftsfragen. Wir sind ja nicht allein in der Welt.

Wo liegen die Gefahren?

Man wirft uns manchmal vor, dass wir den Dialog mit China pflegen, einem Land, das für seinen Umgang mit den Menschen- und Arbeitsrechten in der Kritik steht. Die Problematik ist uns bewusst und wir sind nicht naiv. Wir wollen nicht belehren, sondern zeigen, wie die Schweiz es macht. Wir funktionieren gut mit unserer Sozialpartnerschaft und wir zeigen auf, wie effektiv das ist. Das finden wir besser, als nichts zu tun.

Kann man in China durch diese Zusammenarbeit Fortschritte feststellen?

Ja, zum Beispiel bei der Arbeitssicherheit. Auch in Vietnam gibt es Beispiele in der Textil- oder Möbelindustrie, wo die Absenzen und Arbeitsunfälle gesenkt und die Produktivität gesteigert werden konnten. Die Wirtschaft profitiert also davon.

Wo liegen die Herausforderungen, insbesondere auch für die Schweiz?

Die Digitalisierung ist in aller Munde. Eine wichtige Initiative des Generaldirektors der ILO heisst „Future of Work“. Die Schweiz hat diese von Anfang an unterstützt. Mit den Dachverbänden der Sozialpartner führen wir die nationale Diskussion. Im letzten Oktober formulierten wir im Hinblick auf das hundertjährige Jubiläum der ILO die „Tripartite Erklärung zur Zukunft der Arbeit und der Sozialpartnerschaft in der Schweiz im Zeitalter der Digitalisierung der Wirtschaft“. Diese werden wir in die ILO einbringen. Wir sind das einzige Land, das so etwas erarbeitet hat. Jetzt müssen wir das in der Schweiz und international umsetzen. Weitere Themen sind die Bildung und die Repräsentation der Arbeitnehmerorganisationen. Für mich ganz wichtig ist, dass wir nachhaltig sind in Bezug auf die Umwelt, die Wirtschaft und die sozialen Aspekte. Eine weitere Herausforderung für unser Land ist der Multilateralismus. Diverse Staaten greifen internationale Organisationen an. Man stellt sie infrage oder will sie nicht mehr finanzieren. Es gibt aktuell einen Kampf zwischen den Riesen USA und China. Für die kleine Schweiz aber sind internationale Beziehungen sehr wichtig.

China drängt sich in der Weltwirtschaft mit grosser Kraft nach vorne, gerade auch mit dem Projekt neue Seidenstrasse, bei welchem auch die Schweiz mitmachen möchte. Wie können wir verhindern, dass China hierzulande bald wirtschaftlich und vielleicht auch politisch bestimmt?

Die Schweiz und China haben eine lange gemeinsame Geschichte der Zusammenarbeit und der diplomatischen Beziehungen. Die Schweiz will nun ja beim Projekt Seidenstrasse mitmachen. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass Werte wie Arbeitssicherheit oder gute Arbeitsbedingungen dort integriert werden. Das ist besser, als gar nicht mitzumachen.

Besteht nicht die Gefahr, dass China auch politisch Einfluss nehmen wird in der Schweiz?

Das sehe ich nicht, wir sind genug widerstandsfähig. Der Bundesrat steht auch dafür ein, dass alle strategisch wichtigen Unternehmen national bleiben müssen.

Was haben wir in der Schweiz von den geschilderten internationalen Beziehungen?

Wir sind nicht perfekt, wir können auch viel lernen von anderen. Ein Beispiel: Dänemark hat als erstes Land einen Gesamtarbeitsvertrag für Angestellte digitaler Plattformen ausgearbeitet. Dank internationaler Beziehungen können wir davon profitieren. Weil wir ein so kleines Land sind, sind unsere Beziehungen sowieso sehr schnell international. Wenn wir sie nicht pflegen, sind wir bald nicht mehr relevant und auch weg vom Markt.

Wo profitieren andere Länder von der Schweiz?

Wir erteilen keine Lektionen, wir geben aber Best-Practice-Beispiele. Davon profitiert die Wirtschaft in den entsprechenden Ländern, aber auch in der Schweiz.

Wie bringen sich Arbeitnehmerorganisationen in die internationalen Beziehungen der Schweiz ein?

Ich bin fast jede Woche in Kontakt mit den grossen Arbeitnehmerdachverbänden Schweizerischer Gewerkschaftsbund SGB und Travail.Suisse. Sie sind in unseren tripartiten Kommissionen mit dabei.

Kleinere Organisationen sind nicht dabei?

Nein. Der SGB ist als Mitglied der International Trade Union Confederation auch international vernetzt. Darum arbeiten wir vor allem mit ihm zusammen. Die Dachverbände sind ja SGB und Travail.Suisse. Aber wenn wir sektorielle Diskussionen haben, sind die kleineren Organisationen auch im Gespräch.

Die ILO hat ihren Sitz in Genf, also in unserem Land. Was bedeutet das für die Schweiz?

Wir haben die Organisation sogar mitgegründet. Genf ist der perfekte Standort, weil dort alle UNO-Organisationen sind und man sich austauschen kann. Leider ist die ILO in der Schweiz nur wenig bekannt.

Wie bringen wir uns in der ILO ein?

Zum Beispiel bei den Arbeitsnormen. Dort braucht es eine Revision von alten Standards. Andererseits arbeiten wir aktiv bei internationalen Kooperationen mit. Wichtig sind uns im Weiteren der soziale Dialog und der Tripartismus.

Es gibt 184 Übereinkommen der ILO. Die Schweiz hat nur einen Teil ratifiziert. Warum nicht alle?

Kein Land hat alle ratifiziert. Frankreich etwa 100, wir über 50, ähnlich wie Österreich, die USA nur etwa 10. Die Schweiz ratifiziert nur, was mit nationalem Recht vereinbar ist.

Oder weil wir uns nicht an die entsprechende Konvention halten möchten?

Nein, nein! Wir können mit den in der Konvention angesprochenen Prinzipien durchaus einverstanden sein, aber die Umsetzung ist bei uns gesetzlich anders geregelt.

Die ILO feierte im Juni ihr hundertjähriges Bestehen. Was war der Beitrag der Schweiz?

Wir organisierten das Jubiläum. Es gab Kolloquien an Universitäten. Wir machen Werbung in Zügen und organisieren Events. Und ganz wichtig: Botschafter Jean-Jacques Elmiger kandidiert für das ILO-Präsidium (vgl. dazu auch das Interview mit ihm, Valérie Berset Bircher und Karin Federer auf Apunto-Online). Wir haben der ILO zehn Bäume, einen für jedes Jahrzehnt, geschenkt.

Was haben Sie sich als neue Leiterin Internationale Arbeitsfragen beim Seco für Ziele vorgenommen?

Ich möchte Kontinuität gewährleisten. Beim Setzen von Standards möchte ich modernere Standpunkte einbringen. Gerne würde ich uns auch breiter aufstellen. Internationale Arbeitsbeziehungen betreffen nicht nur die ILO, es gibt auch andere wichtige Organisationen. Wir sollten unser Know-how zum Beispiel auch bei der Agenda 2030 für Nachhaltigkeit einbringen.

Interview: Hansjörg Schmid

Dienstag, 13. Aug 2019

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Zur Person

Valérie Berset Bircher ist Leiterin Internationale Arbeitsfragen beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco und dort Mitglied der Direktion für Arbeit.