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„Fehler gehören zur Innovation“

Eine Welt ohne Fehler mag sich Antoinette Weibel, Professorin für Personalmanagement an der Hochschule St. Gallen, nicht vorstellen. Sie plädiert dafür, aus kleinen Fehlern zu lernen, damit keine grossen passieren.

Wann haben Sie das letzte Mal einen Fehler gemacht und welchen?

Das war letzte Woche. Ich verursachte eine Terminkonfusion – ein typischer Fehler für mich.

Was waren die Folgen?

Ich musste einer Studiengangs Koordinatorin einen Kurs absagen, was für Unannehmlichkeiten sorgte. Ich habe mir nun vorgenommen, kein Durcheinander mit den Terminen mehr zu produzieren.

Warum braucht es in Unternehmen eine Fehlerprävention und ein Fehlermanagement?

Es ist ganz wichtig, dass es beides gibt. Fehler machen keine Freude: Man hat etwas falsch gemacht, man muss etwas wiederholen, man hat Ressourcen verschwendet, man hat etwas kaputt gemacht oder man hat eine Gelegenheit nicht ergriffen. Zuerst denkt man bei Fehlern an die Kosten. Diese können je nachdem sehr hoch sein. Darum versucht man, durchaus berechtigt, mit Fehlerprävention Fehler zu verhindern. Fehler sind aber mehr als ein Kostenfaktor: Sie sind auch eine Lernmöglichkeit. Mit jedem Fehler, den ich mache, kann ich einen zukünftigen vermeiden, wenn ich der Ursache auf den Grund gehe. Ein weiterer positiver Aspekt von Fehlern ist, dass sie neue Entdeckungen ermöglichen. Fehler gehören zur Innovation, zum Wissensmanagement. Es heisst ja nicht umsonst „trial and error“.

Unternehmen stehen so aber vor einem Dilemma: Einerseits wollen sie Fehler möglichst vermeiden, weil sie diese teuer zu stehen kommen können. Andererseits wollen sie Fehler zulassen, weil zum Teil ganz grosse Erfindungen aufgrund von Fehlern gemacht wurden, Stichworte Post-it und Teflon. Wie kann eine Fehlerkultur dieses Dilemma auflösen?

Es gibt in den Unternehmen viele Dilemmata, und diese können nicht immer aufgelöst werden. Wenn Fehler riesige Auswirkungen haben, zum Beispiel im industriellen Umfeld, versucht man, sie möglichst zu vermeiden, indem man das System optimiert. Auf der anderen Seite des Dilemmas steht man, wenn es um die Innovation geht. Hier sollte nicht jeder Fehler vermieden werden. Es ist im Gegenteil wichtig, Fehler zuzulassen. Das bedeutet aber, bis zu einem Grad mit Ineffizienz zu leben.

In einem Atomkraftwerk wird man also Fehler um jeden Preis vermeiden…

Man muss hier nochmals differenzieren: Im Atomkraftwerk sollte man mindestens kleine Fehler begrüssen – sie können vielleicht verhindern, dass grosse Fehler passieren. Man sollte dort die Mitarbeitenden so schulen, dass sie aus kleinen Fehlern oder aus Beinahe-Fehlern lernen können, um grosse Fehler zu vermeiden. Fehler sind hier ein zwingender Anlass, noch sicherer zu werden.

Wie würden Sie eine Fehlerkultur definieren?

Eine Fehlerkultur besteht aus mindestens drei Aspekten. Erstens muss man aufmerksam sein um Fehler überhaupt zu erkennen. Zweitens braucht es ein Klima des Vertrauens. Wenn ich Angst habe, dass es mir schadet, Fehler aufzudecken, dann werde ich das nicht tun. Drittens darf keine Kultur der Schuldzuweisung herrschen. Unternehmen, die es gut machen, fokussieren nicht darauf, Schuldige zu finden, sondern die Ursachen für Fehler.

Wie steht es in den Schweizer Unternehmen um die Fehlerkultur?

Ich weiss nicht, ob es dazu eine Untersuchung gibt. In meiner Einschätzung weisen drei Indikatoren darauf hin, dass die Fehlerkultur in unserem Land nicht allzu gut ist. Erstens hat sich das in den Neunzigerjahren aufgekommene Konzept des Lean Management nicht durchgesetzt. Dort geht es darum, Verschwendung zu vermeiden, also muss man Fehler finden und ausmerzen. Der zweite Indikator ist die bei uns wenig ausgeprägte Feedbackkultur. Wir leben eher nach dem alemannischen Prinzip „nicht geschimpft ist gelobt“. Der letzte Punkt betrifft die Beschleunigung. Weil sie stets zunimmt, haben wir immer weniger Zeit nachzudenken. Dies wirkt sich doppelt negativ aus: Man macht man mehr Fehler und man sieht Fehler nicht. Wir leiden alle an einer kulturellen Aufmerksamkeitsstörung, die sich auf die Fehlerkultur auswirkt.

Mit der digitalen Revolution werden Arbeitsprozesse über die ganze Wertschöpfungskette hinweg lückenlos steuer- und überwachbar. Fehler können sofort an der Quelle erkannt und behoben werden. Werden wir bald gar keine Fehler mehr machen?

Da bin ich mir nicht sicher. Wenn die Technologie komplexer wird, können auch mehr und grössere Fehler und Störungen entstehen. Ein Beispiel dazu ist das computerbasierte High Frequency Trading an der Börse. Da gab es einerseits Crashes und andererseits noch mehr betrügerisches Verhalten als bei der herkömmlichen Börse. In voll technisierten Betrieben müssen darum diejenigen, welche die Maschinen kontrollieren, noch viel mehr zu Risikomanagern werden. Wir werden sogar eine noch ausgeprägtere Fehlerkultur brauchen.

Wo stösst ein Fehlermanagement an Grenzen?

Betriebswirtschaftlich betrachtet muss sich ein Betrieb irgendwann fragen, wann es billiger ist, einige Fehler zuzulassen statt möglichst alle mit einem teuren Fehlermanagement zu verhindern.

Niemand gibt in unserer Kultur gerne Fehler zu. Wie schafft es eine Fehlerkultur, dass die Menschen, die Fehler begehen, sich nicht schlecht fühlen?

Über Fehler sprechen und mit Fehlern umgehen muss in den Unternehmen zur Normalität werden. Die Vorgesetzten können mit gutem Beispiel vorangehen und Fehler zugeben. Die Mitarbeitenden müssen realisieren, dass es darum geht, einen Fehler nicht zwei Mal zu machen und die Ursachen für den Fehler aufzudecken. Auf der anderen Seite kann man positive Beispiele hervorheben. Man kann zum Beispiel in der Angestelltenzeitung eine Geschichte bringen über einen Mitarbeiter, der einen Fehler entdeckt hat und etwas besonders Gutes daraus gemacht hat.

Der Fehler liegt ja oft nicht unbedingt beim einzelnen Menschen, sondern im System. Wie findet und behebt man Systemfehler?

Im Fehlermanagement geht es ja darum, die Ursachen für einen Fehler zu entdecken, also ist man sofort im System drin. Zum Beispiel, wenn man einen Prozess analysiert oder die Zusammenarbeit unter Abteilungen.

Das in den Unternehmen institutionalisierte Fehlermanagement ist selten bis nie darauf ausgerichtet, auch Management-Fehler aufzudecken. Warum eigentlich nicht?

Das hat viel mit dem enormen Erfolgsdruck zu tun, dem sich Führungskräfte heute ausgesetzt fühlen. So hat das ZDF gerade eine spannende Dokumentation zum Thema „Einsame Spitze“ ausgesendet, die den Erwartungsdruck ans Topmanagement und seine Folgen thematisiert. 

Wie könnte man auch das Management ins Fehlermanagement einbeziehen?

Wichtig sind zwei Dinge. Zum einen müssen wir aufhören, Führungskräfte als Superstars zu sehen. Die Zeit der Superhelden an der Spitze der Unternehmen ist angezählt – heute zählt die Weisheit Vieler. Zum anderen brauchen wir auch eine neue Generation von Führungskräften – nämlich solche, die sich durch Empathie, Vertrauenskapazität und „Gemeinsamgestaltung“ auszeichnen. Dann werden Lernen und Weiterentwicklung durch Experimentieren auch an der Spitze normal.

Welche Faktoren in einem Unternehmen begünstigen Fehler?

Die Angst begünstigt Fehler ganz stark. In einer Angstkultur funktioniert darum ein Fehlermanagement nicht. Ein weiterer Faktor ist Unzufriedenheit. Wer innerlich gekündigt hat oder aktiv unengagiert ist, ist nicht bereit für ein Fehlermanagement. Ein weiteres Problemfeld sehe ich bei den smarten Zielen (smart = spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch, terminiert), die gerne vorgegeben werden. Diese Ziele sind spezifisch und zahlenbasiert. Angestellte fokussieren oft auf sie und blenden alles andere aus – ganz nach dem Motto „gring ache un seckle“. Dabei wird gerne übersehen, dass links und rechts nicht alles so gut läuft. Smarte Ziele können also dazu führen, dass die Aufmerksamkeit für Fehler beeinträchtigt wird oder dass man sich unethisch verhält. Im Extremfall kann es sogar zu bewussten Fehlern kommen. VW ist das jüngste Beispiel, Ähnliches gab es bei Ford mit einem schlecht konstruierten Heck. Es war im Unternehmen bekannt, dass dieses bei Auffahrunfällen schnell kollabierte. Aus Kostengründen wurde aber darauf verzichtet, es besser zu konstruieren. Man entschied sich bewusst dafür, das Problem in Kauf zu nehmen.

Haben nicht Boni eine ähnliche Wirkung?

Boni können falsche Anreize setzen. Wenn ein Angestellter einen Bonus erhält für viel Umsatz, wird er alles daran setzen, viel zu verkaufen. Er wird es dabei vielleicht sogar in Kauf nehmen, den Kunden über den Tisch zu ziehen. Bei komplexeren Arbeiten fragt es sich, ob man die Anreize überhaupt richtig setzen kann.

Was halten Sie von einer Arbeitswelt, in der praktisch keine Fehler mehr passieren?

Das kann ich mir nicht vorstellen, und ich hoffe, dass es nicht eintrifft. Der Mensch würde ja dann gar keine Rolle mehr spielen.

 

Interview: Hansjörg Schmid

Mittwoch, 20. Apr 2016

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Zur Person

Prof. Dr. Antoinette Weibel ist Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement an der Universität St. Gallen. Ihre Forschungsgebiete sind der Einfluss von Institutionen auf die Motivation der Mitarbeiter, Vertrauen im Unternehmen sowie das Wohlbefinden der Mitarbeiter am Arbeitsplatz.

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Im Apunto 2/2016, erscheint Mitte Mai.

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