„Europäische Betriebsräte spielen eine Schlüsselrolle“
Internationale Beziehungen existieren in Europa auch auf der Ebene von Konzernen. Die Europäischen Betriebsräte kommen zum Einsatz, wenn es länderübergreifend zu Restrukturierungen kommt. Sie leisten wertvolle Arbeit, findet Rechtsanwalt Pierre Serge Heger, welcher das Dossier Europäische Betriebsräte bei den Angestellten Schweiz betreut.

Pierre, wie gut, wie erfolgreich sind die Europäischen Betriebsräte?
Europäische Betriebsräte (EBR) sind so gut wie die Kultur der Sozialpartnerschaft im betreffenden Unternehmen. Internationale Unternehmen, auch solche, die den europäischen EBR-Richtlinien unterliegen, können den EBR-Sitz selber wählen. Amerikanische Unternehmen, denen die europäische Kultur der Sozialpartnerschaft sehr fremd ist, entscheiden sich häufig dafür, den EBR-Sitz im Vereinigten Königreich zu haben, das die am wenigsten bindenden Rechte bezüglich EBR kennt. Umgekehrt sehen sich Unternehmen, die in Frankreich den EBR-Sitz haben, einer Gesetzgebung gegenüber, die die Arbeitnehmerrechte weitaus mehr achtet.
Der Erfolg von Europäischen Betriebsräten hängt daher in hohem Masse vom anwendbaren europäischen nationalen Recht ab. Mit dem Brexit sehen Unternehmen in der angelsächsischen Tradition Spielraum, um den Zwängen des EBR zu entgehen.
Was können sie erreichen, was nicht?
Der EBR kann, im Einvernehmen mit der Geschäftsführung, europäische Mitwirkungsrechte entwickeln. Dies beeinflusst die Entwicklung solcher Rechte auf nationaler Ebene, zumindest in dem betreffenden Unternehmen.
Im Falle einer Umstrukturierung, die mindestens zwei Betriebe in zwei verschiedenen Ländern betrifft, wird der EBR zu den Plänen des Managements konsultiert. Er hat das Recht, einen oder mehrere Experten zu beauftragen, die ihn auf Kosten des Unternehmens beraten. In gewissen Fällen haben diese Experten Zugriff auf die meisten internen Restrukturierungsdokumente und können so den EBR optimal beraten.
Dies war kürzlich bei der Restrukturierung der Nexans-Gruppe der Fall. Newco (der EBR von Nexans), der dem französischen Recht unterliegt, konnte sein gesamtes Gewicht einbringen, um strategische Fehler zu vermeiden. In der Schweiz konnten 30 Arbeitsplätze gerettet werden – insbesondere dank Newco und dem auf europäischer Ebene formalisierten System der Sozialpartnerschaft. In diesem Fall wurde der Umstrukturierungsplan nur in der Schweiz geändert. Dies ist ironisch angesichts der Tatsache, dass die Schweiz kein Mitglied der EU ist.
Die Schweiz wendet die Europäische Richtlinie für Europäische Betriebsräte nicht an. Können in den Schweizer Betrieben von Konzernen trotzdem Europäische Betriebsräte ernannt werden?
Ja auf jeden Fall. Viele EBR haben Vertreter aus Nicht-EU-Ländern wie Russland, Norwegen oder der Schweiz.
Welche Rechte haben sie, welche nicht?
Wenn sie ordentliche Mitglieder sind, haben sie die gleichen Rechte wie Mitglieder aus EU-Mitgliedstaaten. Für die drei oben genannten Länder gibt es jedoch den Status als EBR-Vertreter mit eingeschränkten Rechten, zum Beispiel den Beobachterstatus. Auch eine solche Position ist für die Vertreter aus Nicht-EU-Ländern ein Vorteil. Sie erhalten nützliche Informationen für die Mitarbeiter ihrer Länder, zu denen sie sonst niemals so leichten Zugang hätten.
Würde die Ratifizierung des Rahmenabkommens mit der EU die Situation der Schweizer Vertreter in den Europäischen Betriebsräten tangieren, würde die Schweiz die EBR-Richtlinie der EU übernehmen?
Nicht direkt. Hauptziel der Ratifizierung des Rahmenabkommens ist eine dynamische Harmonisierung des Rechts zwischen der EU und der Schweiz, wobei der in der Rechtsdynamik der bilateralen Abkommen der "gemeinsame Besitzstand" berücksichtigt werden soll. Leider ist die direkte Umsetzung der EBR-Richtlinie 2009/38 im schweizerischen Recht nicht vorgesehen. In ihren Entscheidungen wenden die europäischen Gerichte jedoch den gemeinschaftlichen Besitzstand an, der diese Richtlinie enthält, was das schweizerische Recht meiner Meinung nach indirekt beeinflussen würde.
Meiner Meinung nach ist es einfacher, in der Schweiz auf den aus der EBR-Richtlinie 2009/38 abgeleiteten Grundsatz der Nichtdiskriminierung von Arbeitnehmern zurückzugreifen, auf welchem die Personenfreizügigkeit gründet.
Was kann getan werden, damit die Schweizer Vertreter mehr Gewicht erhalten?
Idealerweise wird die EBR-Richtlinie 2009/38 im Schweizer Recht umgesetzt. Politisch ist dies jedoch zu ehrgeizig, auch wenn das in dieser Richtlinie vorgesehene System die Schweizer Gesellschaft und die Schweizer Arbeitgeber keinen Rappen kosten würde. Laut Richtlinie werden die Kosten für die Führung des EBR von den Konzernen getragen.
Die Vernetzung zwischen den Schweizer Arbeitnehmervertretern und ihren europäischen Betriebsräten liefert hervorragende Ergebnisse. Aufgrund meiner 20-jährigen Erfahrung in diesem Bereich stelle ich fest, dass die Aufnahme von Vertretern aus Nicht-EU-Ländern positiv beurteilt wird. Häufig werden Schweizer Vertreter sogar auf Initiative von EU-Mitgliedern in den EBR integriert.
Wie wird sich der Europäische Betriebsrat in Zukunft entwickeln?
Rechtlich gesehen ist keine grosse Entwicklung zu erwarten, weder in der EU noch der Schweiz. Die derzeitige Fassung der EBR-Richtlinie kam nur dank des Drucks der Europäischen Kommission zu Stande, die es schaffte, Blockaden zwischen den europäischen Sozialpartnern zu überwinden.
Wie im Schweizer Modell ist die Richtlinie 2009/38 die Grundlage für die Entwicklung der Sozialpartnerschaft im Unternehmen. Diese hängt in hohem Masse davon ab, wie ernst sie im Unternehmen und auf höherer Ebene von der Politik genommen wird.
Wie auch immer, solange es genügend grosse Unternehmen gibt, wird ihnen ein EBR auferlegt werden, zumindest in Europa – aber mit Auswirkungen auf Länder wie die Schweiz. Hoffen wir, dass diese Unternehmen die Nützlichkeit dieser Foren zu schätzen wissen, die in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen, wie wir sie derzeit gerade erleben, eine Schlüsselrolle spielen.
Interview: Hansjörg Schmid
Hintergrundinfos zum Thema Europäische Betriebsräte
Auf der Website der Angestellten Schweiz finden Sie mehr Informationen über die Europäischen Betriebsräte - und etwas ausführlicher auf der englischsprachigen Seite.
Zur Person

Pierre Serge Heger ist Rechtsanwalt der Angestellten Schweiz und verantwortlich für das Dossier Europäischer Betreibsrat.