Eine gute Umsetzung des GAV Personalverleih gewährleisten
Alberto Morina ist Arbeitnehmervertreter im Unternehmen Construma, das dem Gesamtarbeitsvertrag der MEM-Industrie (GAV MEM) unterliegt. Construma beschäftigt neben Festangestellten rund 15 Temporärangestellte. Eines Tages beklagt sich einer von ihnen, Simon Tempomato, bei Alberto Morina über seine schlechten Arbeitsbedingungen. Simon Tempomato möchte, dass die Arbeitnehmervertretung handelt.

Simon Tempomato ist ein Temporärmitarbeiter, dessen Dienste für einen Zeitraum von sechs Monaten von der Agentur Louservito an Construma verliehen werden. Simon Tempomato ist mit seinen Arbeitsbedingungen und insbesondere seinem zu niedrigen Gehalt, das in seinen Augen sogar unter dem Mindestlohn liegt, nicht zufrieden. Er wendet sich an seinen Kollegen Alberto Morina, Arbeitnehmervertreter. Simon Tempomato möchte, dass die Arbeitnehmervertretung etwas für ihn und die anderen Temporären des Unternehmens unternimmt.
Alberto Morina möchte seinem Kollegen helfen, aber bevor er handelt, konsultiert er den GAV MEM und zögert. In Artikel 1, Absatz 3 heisst es: "[...] auf Arbeitnehmende von Temporärfirmen sollen die Bestimmungen des GAV sinngemäss angewendet werden; sie unterstehen aber dem GAV nicht“. Bei Construma ist dies anscheinend nicht der Fall. Da der GAV MEM für Temporärangestellte die gleichen Bestimmungen nur empfiehlt, aber nicht zwingend verlangt, kommt Alberto Morina zum Schluss, dass er für Simon Tempomato nicht viel tun kann. Er möchte aber ganz sicher sein und ruft den Rechtsdienst der Angestellten Schweiz an, wo er Mitglied ist.
Ein Unternehmen, zwei Gesamtarbeitsverträge
Korab Macula, Rechtskonsulent und Verantwortlicher für die Personalverleihbranche im Arbeitnehmerverband, antwortet ihm und gibt ihm nützliche Informationen. Er weist ihn auf den Gesamtarbeitsvertrag Personalverleih hin. Wie der GAV MEM die Festangestellten bei Construma schützt, tut dies der GAV Personalverleih für die dort arbeitenden Temporärangestellten. Alberto Morina legt auf und konsultiert diesen famosen GAV online. Weil Simon Tempomato mit seinem Gehalt tatsächlich unter dem Mindestlohn liegt, konzentriert sich Alberto Morina auf die Mindestlohnbestimmungen, im GAV Personalverleih im Artikel 20 festgehalten. Alberto Morina ist etwas verunsichert, weil er auf den ersten Seiten des GAV gelesen hat, dass Artikel 20 in der MEM-Branche nicht anwendbar ist. Er ruft nochmals den Rechtsdienst der Angestellten Schweiz an.
Korab Macula nimmt den Anruf entgegen und bestätigt Alberto Morina, den GAV Personalverleih genau studiert zu haben. Für Simon Tempomato sollte grundsätzlich der in Artikel 15, Absatz 2 GAV MEM vorgesehene Mindestlohn analog gelten.
Gemäss GAV Personalverleih geht man übrigens davon aus, dass die branchenüblichenLöhne, z.B. in den MEM-Unternehmen, über den im GAV Personalverleih definierten Mindestlöhnen liegen (siehe Art. 3, Abs. 3). Liegen Hinweise für ein Lohndumping vor, so kann die Schweizerische Paritätische Berufskommission Personalverleih (SPKP) oder jede Vertragspartei des GAV Personalverleih der zuständigen tripartiten Kommission (Art. 360b OR) den Antrag stellen, eine Untersuchung durchzuführen.
Da Korab Macula feststellt, dass Alberto Morina etwas unsicher ist, erklärt er ihm ausführlicher, wie der GAV Personalverleih funktioniert und welche Rolle er als Arbeitnehmervertreter von Construma spielen kann.
Klar umrissenes Anwendungsgebiet
Der GAV Personalverleih gilt schweizweit, alle Personalverleiher haben die darin festgelegten Bestimmungen anzuwenden. Ein Unternehmen wie Construma, das nicht im Personalverleih tätig ist, unterliegt dem GAV Personalverleih als solchem nicht. Es ist jedoch klar, dass das Unternehmen als verantwortungsbewusster Arbeitgeber aufgefordert ist, dem Personalverleiher schlechte Arbeitsbedingungen von Temporärangestellten zu melden, wenn solche feststellt werden – oder einen anderen Anbieter auszuwählen.
Weil der GAV Personalverleih nicht für eine bestimmte Branche oder für ein Unternehmen als solches gilt, sondern eine Form der Arbeit schützt, ist seine Anwendung etwas komplex. Die Sozialpartner, darunter die Angestellten Schweiz, haben in den Artikeln 2 und 3 definiert, unter welchen Umständen die darin vorgesehenen Bestimmungen anwendbar sind und wann nicht.
Sozialpartner müssen sich koordinieren
Diese, wie alle anderen Bestimmungen des GAV, sind nur wirksam, wenn ihre Anwendung kontrolliert wird. Hierzu haben die Vertragspartner entsprechende Mechanismen eingerichtet. In jeder Sprachregion existiert eine paritätische Kommission, welche die Inspektionsberichte der beauftragten Inspektoren prüft, aus denen hervorgeht, ob die Bestimmungen des GAV Personalverleih, aber auch anderer anwendbarer GAV, eingehalten wurden oder nicht. Nach Prüfung jedes Berichts trifft die paritätische Kommission eine Entscheidung. Falls das Personalverleihunternehmen gegen die Bestimmungen des GAV Personalverleih verstossen hat, kann die Kommission eine Sanktion verhängen. In einigen Fällen ist sie jedoch nicht dazu befugt, sie muss das Dossier an die berechtigte Stelle weiterleiten. All dies erfordert eine umfassende Koordination zwischen den Akteuren des GAV Personalverleih und den Sozialpartnern der anderen Branchen, seien diese im Bauwesen, im Baunebengewerbe, in der Industrie oder im Dienstleistungssektor.
Alberto Morina findet das alles recht kompliziert. Korab Macula versichert ihm aber, dass er,falls weitere Fragen zum GAV Personalverleih auftauchen, jederzeit den Rechtsdienst der Angestellten Schweiz anrufen kann und Auskunft erhalten wird.
In einer neuen Auflage des GAV Personalverleih beabsichtigen die Angestellten Schweiz zusammen mit den anderen Vertragsparteien des GAV Personalverleih, ab 2021 das sogenannte Equal-Minimum-Pay-Prinzip im GAV einzuführen. Damit gelten auch in Branchen und Unternehmen, deren Gesamtarbeitsverträge nicht allgemeinverbindlich erklärt sind, dieselben Mindestlöhne für Temporär-und Festangestellte. In einem solchen Fall würde Simon Tempomato denselben Mindestlohn erhalten wie die Festangestellten des Einsatzbetriebes.
Korab Macula weist Alberto Morina auch darauf hin, Simon Tempomato zu empfehlen, Mitglied bei den Angestellten Schweiz zu werden. Der Arbeitnehmerverband nimmt die Temporärangestellten selbstverständlich gerne auf und berät sie kompetent. Falls Sie Arbeitnehmervertreter in der MEM-Branche oder einer anderen Branche sind, zögern Sie nicht, die Rechtsberatung der Angestellten Schweiz anzurufen, wenn Sie mit einer ähnlichen Situation konfrontiert sind wie Alberto Morina. Als Mitglied werden Sie umfassend beraten.
Virginie Jaquet
Mitglied der Angestellten Schweiz zu werden lohnt sich
Sie profitieren von zahlreichen Angeboten und kostenloser Rechtsberatung. Für Temporärangestellte beträgt der Jahresbeitrag 260 Franken.
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