Die Zukunft gehört der partizipativen Führung
Die Zeit der einsamen, aber mächtigen Führungskräfte an der Spitze von Unternehmen läuft ab. Immer wichtiger wird die Führung durch die Strukturen einer Organisation, aber auch die geteilte Führung in Gruppen oder Netzwerken. Dies sagt Katrina Welge, Organisationsentwicklerin und Leiterin des Studiengangs CAS Psychologie flexibler Arbeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz.

In immer mehr Unternehmen wird dank der Digitalisierung flexibel und mobil gearbeitet. Sie haben ein Modell für mobil-flexible Führung erarbeitet. Wie sieht es aus?
Wir haben ein Rahmenmodell definiert, das drei verschiedene Steuerungsebenen anspricht: Von der personalen Steuerungsebene sind wir alle noch geprägt. Es geht hier um die Beziehung zwischen der oder dem direkten Vorgesetzten und den Mitarbeitenden. Bezüglich Gruppen, Teams oder Netzwerken sprechen wir von geteilter Führung oder geteilter Steuerung. Wir nennen es ganz bewusst nicht Teamführung, weil es diese Art von Führung ja nicht nur in Teams gibt, sondern auch in Projektgruppen oder in organisationsübergreifenden Netzwerken, die gemeinsam an einem Thema arbeiten. Die dritte Steuerungsebene ist die strukturelle. Hier wird Führung über die Strukturen einer Organisation ausgeübt. Dazu zählen alle Managementsysteme wie Controlling-, Anreiz- oder Performancemanagementsysteme. Aber auch Werte gehören dazu, zum Beispiel Führungsleitbilder. Diese strukturelle Ebene wirkt genauso auf das Führungsgeschehen wie die personale Ebene.
Wie wichtig ist diese strukturelle Steuerungsebene?
Sie wirkt immer stärker, denn mobil-flexibles Arbeiten hat mit einer zunehmenden Digitalisierung der Geschäftsprozesse zu tun. Wenn man nicht mehr „auf Sicht“ arbeiten und führen kann, sind die Managementsysteme, die steuern, umso wichtiger.
Managementsysteme und Organisationsprozesse stelle ich mir nicht gerade als inspirierende Chefs vor…
Die Aufgabe der Inspiration erwartet im Moment kaum jemand von beispielsweise einem Controlling-System – ist aber sicher eine gute Anregung für die weitere Entwicklung.
Was passiert, wenn Menschen nicht nur von solchen Anreizsystemen, sondern von Algorithmen oder Robotern geführt werden?
Beim Beschwerdemanagement zum Beispiel haben wir ja schon das Stadium erreicht, dass wir mit Robotern sprechen. Wenn eine Kundin wutentbrannt mit dem Chef der ersten Beschwerdeinstanz sprechen will, ist es mit solchen Systemen auch möglich, auf die nächsthöhere Stufe zu eskalieren, wobei auch diese nicht unbedingt menschlich sein muss. Das lässt sich eventuell künftig auf eine Führungssituation übertragen. Zunächst scheint mir aber viel wichtiger zu sein, dass wir die strukturelle Steuerung überhaupt als Führungsebene anerkennen; sie hat einen starken Einfluss. Sie kann ja zum Beispiel die personale Führung ein Stück weit auch torpedieren.
Kann es also unter den Steuerungsebenen zu Konflikten oder Widersprüchen kommen?
Es kann zum Beispiel sein, dass ein Teamleiter mit seinem Team Ziele vereinbart, das Vergütungssystem jedoch eine ganz andere Honorierung vorsieht, nämlich Einzelleistungsziele. Dies ergibt einen Zielkonflikt. Für den Unternehmenserfolg muss es aber darum gehen, dass die Steuerungsebenen zueinander passen. Dazu ist der erste Schritt, alle Steuerungsebenen der Führung zuzuordnen.
Sie sagten, dass die strukturelle Führungsebene immer wichtiger wird. Wie steht es mit der personalen und der geteilten Führung?
Die geteilte Führungsebene wird ebenfalls stärker werden. Die neuen agilen Arbeitsformen setzen ganz stark auf das Gruppen- oder Teammoment. Stichworte dazu sind Holacracy (vgl. dazu den Beitrag „Das Orchester und sein Dirigent“) oder Scrum.
Sprechen wir von der geteilten Führung. Sie stellten im Apunto 1/2018 fest, dass es nicht mehr länger sinnvoll sei, die vielfältigen Führungskompetenzen im Verantwortungsbereich nur einer Person zu bündeln. Warum nicht?
Im Hinblick auf die aktuellen schnellen Veränderungen, die komplexen Zusammenhänge und die hohe Unsicherheit braucht es Alternativen zum traditionellen Ansatz. Je unbeständiger die Umgebung ist, desto flexibler muss ein Team oder eine Projektgruppe darauf reagieren können. Dementsprechend flexibel muss auch das Führungsverhalten unter den Beteiligten sein. Man muss Entscheide rasch fällen können, um anpassungsfähig zu sein. Dabei ist es selten, dass eine einzige Person alles nötige Wissen und genügend Kapazitäten mitbringt, um der Komplexität der Entscheidungen gerecht zu werden und alleine zeitkritische Entscheidungen zu treffen.
Wie setzt man dies in einer Gruppe um?
Man muss dazu einen hohen Grad an Partizipation an den Tag legen. Es geht nicht darum, im Notfall auch mal die Meinung aller abzufragen, sondern um partizipative Führung. Die anstehenden Themen werden transparent und verantwortungsbewusst diskutiert und man kommt gemeinsam zu Entscheidungen. Ein Teil der Partizipation ist die Delegation. Auch Führungsaufgaben können delegiert werden.
Was sind die Vorteile einer partizipativen Führung?
Man kann das Potenzial der Mitarbeitenden besser nutzen, diese haben eine höhere Bindung an das Unternehmen und sind zufriedener. Partizipative Führung ist Personalentwicklung.
Partizipation ist aber anspruchsvoll. Funktioniert sie für alle Mitarbeitenden?
Sie passt nicht für jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter – und nicht für jede Führungsperson. Alle Beteiligten haben verantwortungsvoll im Sinne der Organisation zu handeln und die kommunikativen Kompetenzen sind in den zum Teil anspruchsvollen Verständigungsprozessen herausgefordert.
Gibt es auch Nachteile der partizipativen Führung?
Wenn Aufgaben delegiert werden, ohne dass die Mitarbeitenden die Ressourcen dazu haben – Zeit, Fach- und Verantwortungskompetenz – dann funktioniert es nicht. Eine Herausforderung ist auch das Aushandeln der delegierten Aufgabe.
Wie bekommt man es hin, dass Gruppen oder Netzwerke effizient entscheiden können? Man kann ja nicht basisdemokratisch stundenlang diskutieren…
Obwohl man auch negative Erfahrungen damit gemacht hat, sollte der basisdemokratische Ansatz nicht einfach vom Tisch gewischt werden. In diesem Prozess liegen nämlich viele Implikationen, die sonst nachgearbeitet werden müssten. Wenn in hierarchischen Strukturen eine einzelne Führungsperson einfach etwas beschliesst, das die Belegschaft nicht mitträgt, dann ist auch nichts gewonnen. In Prozessen der Gruppeninteraktion kommt hingegen schon früh zur Sprache, was später Widerstand auslösen könnte.
Gibt es gute Beispiele von Organisationen, die schon mit Gruppenentscheiden funktionieren?
Die Swisscom zum Beispiel hat schon vor fünf Jahren angefangen, ihre Räumlichkeiten für flexible Arbeitsmodelle umzubauen. Dabei haben Mitarbeitende die Räume zum Teil selbst gestaltet. Auch die teamzielbezogenene Arbeit können sie in bestimmten Bereichen selber gestalten. Ein anderes Beispiel ist die Post. Hier setzt der HR-Bereich gerade die neue Arbeitsform Holacracy um, bei der „Kreise“ die zentralen Organisationseinheiten sind.
Interessant ist, dass dies beide ehemalige Staatsbetriebe sind.
Es gibt auch andere Beispiele wie mittelständische IT-Betriebe oder Consulting-Firmen, die sich gar nie hierarchisch aufgestellt hatten. Sie pflegten immer schon einen kollegialen Führungsstil. Bei den ehemaligen Staatsbetrieben ist der Unterschied natürlich viel deutlicher. Es ist für sie aber die Chance für einen radikalen Bruch mit hierarchischen Strukturen und mit entsprechend traditionellem Führungsansatz.
Wird die Entwicklung in Richtung solcher Ansätze vor allem von der Digitalisierung getrieben?
Die Digitalisierung ist ein Ermöglicher. Ein ebenso wichtiger Faktor ist aber, dass die jüngeren Generationen ganz anders sozialisiert sind. Die Digital Natives kennen nichts anderes als die digitalisierte Welt, in welcher Kommunikation keine Grenzen und Hierarchien kennt. Interessant ist ja, dass diese Veränderungen in der Organisationslogik der Betriebe von unten, bottom up, kommen. Niemand in der Unternehmensleitung hatte je entschieden, dass man auf einmal bereichsübergreifend zu einem Projektthema via Whatsapp arbeitete, man tat es einfach. Heute ist Whatsapp längst durch andere Apps wie Slack oder Trello ersetzt worden.
Interview: Hansjörg Schmid
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