Die gläserne Firma
Sie suchen den perfekten Arbeitgeber? Bevor Sie sich bewerben, schauen Sie auf Glassdoor vorbei. Dort bewerten Arbeitnehmende ihre Arbeitgeber - alles öffentlich und alles anonym.
Wer beispielweise bei Alstom in Baden eine Stelle sucht, kann sich freuen: Es ist „einfach Freunde zu finden und super voneinander zu lernen“. Die Mitarbeitenden seien motiviert und Baden ein guter Standort. Der jährlich Lohn hingegen „steigt extrem langsam, du kannst mit maximal einem Prozent rechnen.“ Als Senior Project Manager verdient man stattliche 175 634 Franken, der Praktikanten-Lohn beträgt monatlich 2645 Franken. Die Vorstellungsgespräche sind meist fair und nicht zu technisch. Trotz der positiven Kommentare würden allerdings nur 48 Prozent der Befragten Alstom in Baden einem Freund weiter empfehlen.
27 Millionen User
All diese Informationen kann man auf dem Internetportal Glassdoor nachlesen. Dort beurteilen Mitarbeiter ihre Arbeitgeber. Alles ist anonym und öffentlich. In den USA existiert das Portal seit 2008; seither haben sich 27 Millionen User angemeldet, im Jahr vor April 2014 wurden über 500 000 Firmen-Kritiken veröffentlicht. Neu ist die Idee nicht: Bekannt im deutschsprachigen Raum ist vor allem die Plattform kununu – seit Januar 2015 gibt’s nun Glassdoor auch im deutschsprachigen Raum. Noch gibt es bei kununu mehr Bewertungen über Arbeitgeber in der Schweiz zu lesen: Über 800 000 Kritiken zu 201 000 Betrieben. Darunter flyerline.ch, die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich oder die SBB. Auf Glassdoor liegt der Schwerpunkt bei internationalen Konzernen oder US-Unternehmen. Zurzeit findet man Bewertungen zu rund 340 000 Betrieben weltweit, darunter 750 in der Schweiz.
Das Machtgefüge gerät durcheinander
Der Name Glassdoor ist Programm – die gläserne Firma. Alles ist transparent und vergleichbar: Löhne, Aufstiegsmöglichkeiten oder das Klima im Betrieb. Logisch entscheiden sich Job-Suchende für die Firma mit den besten Ratings. Setzen sich solche Plattformen durch, könnten sie einen Paradigmenwechsel einläuten. Glassdoor und Co. haben das Zeugs ein Machtgefüge durcheinander bringen, das jahrzehntelang einseitig verteilt war. Bis heute liegt die Macht beim Arbeitgeber. Er bewertet seine Mitarbeiter. Bei Neueinstellungen hat er die Möglichkeit die Löhne zu drücken, zudem weiss der neue Mitarbeiter kaum, auf was er sich einlässt. In Kombination mit dem Fachkräftemangel könnten nun in gewissen Branchen ganz neue Zeiten anbrechen: Die Arbeitgeber müssen für gute Anstellungsbedingungen sorgen, sonst werden sie schlicht keine Arbeitskräfte finden. Die Arbeitnehmer wären am längeren Hebel. Möglich gemacht, hat die Unterwanderung fester Machtgefüge das Web 2.0. Die Nutzer lesen nicht mehr bloss Beiträge, sondern haben die Möglichkeit eigene Inhalte zu veröffentlichen, gelesen zu werden. Welche Macht die sozialen Medien haben, mussten einige autoritäre Regime während es arabischen Frühlings erfahren. Gut möglich, dass sich bald ebenso in der Wirtschaft die Machtgefüge verändern werden.
Reto Liniger