Dem Fachkräftemangel mit motivierten Mitarbeitenden begegnen
Vor drei grossen Herausforderungen steht die Schweizer Wirtschaft: dem Fachkräftemangel, der demografischen Entwicklung und der Digitalisierung. Sie sind nur zu meistern, wenn man die Mitarbeitenden im Boot hat. Eine Studie von Deloitte zeigt, wie es gelingen kann.

Jeden Monat entstehen in der Schweiz 41 000 neue Stellen, während 38 000 verschwinden. Der Arbeitsmarkt unterliegt einem ständigen Strukturwandel. Berufe und Tätigkeiten ändern sich ebenso wie die Anforderungen an die Arbeitskräfte. Nachzulesen sind diese Aussagen in der Studie „Motiviert, optimistisch und pflichtvergessen. Die Stimme der Arbeitnehmer in der Schweiz“ von Deloitte. Die Studie nimmt einen anderen Blickwinkel ein als viele andere Studien zu den Herausforderungen in der Arbeitswelt: nämlich denjenigen der Arbeitskräfte. Sie eruiert deren Bedürfnisse und leitet daraus Empfehlungen für die Unternehmen ab. Das ist ein cleverer Ansatz, denn ohne die Mitarbeitenden sind die Herausforderungen nicht zu meistern.
Nicht alle Rezepte sind gut
Die Veränderungen im Schweizer Arbeitsmarkt sind riesig. Unsere Wirtschaft ist deutlich dienstleistungsorientierter und wissensintensiver, aber auch digitaler geworden. Drei Viertel der Beschäftigten arbeiten im Dienstleistungssektor. Kombiniert mit der zunehmenden Überalterung der Bevölkerung sowie der geringeren Erwerbsquote der Frauen resultiert aus dieser Entwicklung ein Fachkräftemangel. Je nach Branche kann er sehr akut sein kann, zum Beispiel in der Industrie.
Die Deloitte-Studie erörtert diverse Massnahmen zur Bekämpfung dieses Fachkräftemangels, kommt aber zum Schluss, dass nur diejenigen erfolgsversprechend sind, die den Bedürfnissen der Mitarbeitenden entsprechen. So weist sie darauf hin, dass es politisch schwierig wäre, die wöchentliche Arbeitszeit oder das Rentenalter heraufzusetzen. Der Trend laufe eher in die andere Richtung. Auch eine Erhöhung der Zuwanderung stosse auf politischen Widerstand. Eine Automatisierung von Stellen in grossem Stil hält Deloitte für wenig realistisch. Es sei auch nicht überall möglich, zum Beispiel in den Gesundheitsberufen.
Bleibt als letzte Option eine besser Nutzung des bestehenden Arbeitskräftepotenzials. Eine solche sei sowohl realistisch als auch in naher Zukunft realisierbar.
Aktivierung der stillen Arbeitskräftereserven
60 Prozent der Wohnbevölkerung ab 15 Jahren in der Schweiz sind nicht unterbeschäftigt und 28 Prozent nicht erwerbstätig (zu Letzteren gehören vor allem die Pensionierten). Dazwischen sind Unterbeschäftigte, Erwerbslose und so genannte stille Reserven. In der Studie werden Personen als solche bezeichnet, die nicht auf Arbeitssuche, aber verfügbar sind (3%) oder die auf Arbeitssuche, aber innerhalb von zwei Wochen nicht verfügbar sind (1%).
Das Potenzial bei den Arbeitslosen ist gemäss der Studie begrenzt, da in jeder Volkswirtschaft eine gewisse Sockelarbeitslosigkeit unausweichlich sei. Interessant ist die Gruppe der verfügbaren Personen in den stillen Reserven. Das sind Menschen, die nicht aktiv nach Arbeit suchen, aber gerne erwerbstätig wären. Fast die Hälfte davon gehört zur Altersgruppe 55+. Viele von ihnen haben auch bereits das Pensionsalter erreicht, können sich aber vorstellen, weiter zu arbeiten.
Mit 357 000 potenziellen Arbeitskräften fällt die Gruppe der Unterbeschäftigten am stärksten ins Gewicht. 75 Prozent von ihnen sind Frauen, da diese öfter Teilzeit arbeiten. Von Vorteil ist, dass diese Personen bereits im Arbeitsmarkt sind und ihre Pensen erhöhen könnten. Ein Knackpunkt ist jedoch, dass in vielen Fällen Angebot und Nachfrage nicht übereinstimmen.
Die Altersfrage ist zu überdenken
Es ist eine Schande: Gemäss einer anderen Deloitte-Befragung von Führungskräften sehen ein Drittel der Befragten ältere Arbeitnehmer als Wettbewerbsnachteil. Nur gerade 20 Prozent der Schweizer Unternehmen wollen zur Linderung des Fachkräftemangels auf die Rekrutierung alternativer Gruppen wie älterer Personen zurückgreifen. „Es ist höchste Zeit, dass Unternehmen die Altersfrage überdenken“, kommen die Autoren der Studie zum Schluss. „Wer ältere Erwerbstätige weiterhin als nachteilig wahrnimmt und sich bei der Rekrutierung ausschliesslich auf jüngere fokussiert, begeht einen strategischen Fehler.“ Klare und richtige Worte.
Die wichtigsten Motivationsfaktoren gemäss der Deloitte-Studie sind in der Schweiz eine kompetente Führung, einen eindeutige Definition der Verantwortlichkeiten und das Vertrauen unter Arbeitskollegen. Interessanterweise folgen Jobsicherheit und Stabilität sowie die Entlöhnung erst auf Rang 4 bzw. 7. In den meisten anderen europäischen Ländern stehen sie ganz oben auf der Liste. „Der Lohn ist nicht alles!“, kommt die Studie zum Schluss. Sie empfiehlt Schweizer Unternehmen zur Motivation der Mitarbeitenden, ein vertrauensvolles Arbeitsklima zu schaffen sowie eine kompetente Führungskultur mit klaren Verantwortlichkeiten zu leben.
Die dritte Empfehlung in der Studie betrifft die Arbeitsmodelle: „Bieten Unternehmen ihren Mitarbeitenden eine Vielzahl von Arbeitsmodellen, kann ihre Partizipationsrate erhöht werden.“ Mit Arbeitsmodellen wie Teilzeit oder Portfolio-Working könnten Frauen und Jüngere, aber auch Ältere angesprochen werden.
Weiterbildung zentral – gerade in der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt
Die Arbeitnehmer sehen bei sich selbst ein grosses Potenzial für Weiterbildungen. Nur 17 Prozent schätzen sich bei „fortgeschrittenen IT-Kenntnissen“ als kompetent ein. Beim „technischen Wissen“ und bei „Fremdsprachen“ sind es 23 respektive 26 Prozent. Unternehmen tun gut daran, das lebenslange Lernen ihrer Beschäftigten ins Zentrum zu stellen. Die Autoren der Deloitte-Studie appelieren an die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden, die aber von den Unternehmen und Führungskräften unterstützt werden sollen.
Nur gerade 13 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass ihr Job in den nächsten zehn Jahren vollständig digitalisiert wird. Damit weist die Schweiz den tiefsten Wert aller europäischen Länder auf, die an der Umfrage teilgenommen haben. Vor der Digitalisierung fürchten muss man sich auch nach Einschätzung der Angestellten Schweiz nicht. Sie wird aber fast alle Jobs – teilweise dramatisch – verändern und die arbeitende Bevölkerung vor grosse Herausforderungen stellen. Darum ist die Digitalisierung eines der Kernthemen der Angestellten Schweiz und die Studienautoren haben Recht, wenn sie schreiben, dass man sie ernst nehmen muss.
Die Deloitte-Studie zeichnet ein realistisches Bild der Situation auf dem Arbeitsmarkt in der Schweiz – gerade, weil sie vor allem die Sicht der Erwerbstätigen darstellt. Sie zeigt, dass man das Rad nicht neu erfinden muss, um den Fachkräftemangel wirkungsvoll zu bekämpfen.
Hansjörg Schmid
Zur Studie
Um „die Stimme der Arbeitnehmer“ zu erfassen, befragte Deloitte im August 2018 15 000 Personen aus zehn europäischen Ländern, darunter 1000 aus der Schweiz. Die Teilnehmer zählten alle zur aktiven Erwerbsbevölkerung (erwerbstätig oder aktiv auf Arbeitssuche) und waren mindestens 25 Jahre alt. Die Alters- und Geschlechterzusammensetzung entsprach der aktuellen Zusammensetzung der Erwerbsbevölkerung.
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