Büroarbeit 4.0
Seit dem Siegeszug des Personal Computers hat kein Ereignis die Büroarbeit so verändert wie die Pandemie. Wohin geht die Reise und wie nehmen wir die Menschen mit? Aufschlüsse gibt die Studie «OH! OFFICE» des Gottlieb Duttweiler Instituts. Wir päsentieren dir die wichtigsten Erkenntnisse und erklären dir, was sie für dich bedeuten.

Arbeitsplatz – damit verband ich vor 30 Jahren einen Schreibtisch in einem Büro an genau einem Ort. Die Erwerbsarbeit fand ausschliesslich dort statt. Heute stelle ich mir unter Arbeitsplatz eher eine Arbeitsstelle vor, einen Job. Der Arbeitsort kann nach wie vor ein Schreibtisch in einem Büro sein und ist es häufig auch. Nur arbeite ich heute an verschiedenen Schreibtischen in verschiedenen Räumlichkeiten an verschiedenen Orten. Auf der Geschäftsstelle von Angestellte Schweiz, im Home-Office, im Coworking. Oder ohne Schreibtisch im Zug. Dies ist nicht neu und für viele Menschen war es in der Pandemie der Normalfall. Wird es so bleiben? Wird es weitere Veränderungen geben? In welche Richtungen werden diese gehen? Die Studie «OH! OFFICE» des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI)im Auftrag von bueroszene.ch ist diesen Fragen auf den Grund gegangen und hat interessante Antworten gefunden.
Ökologie und Ökonomie als Treiber
Die GDI-Studie bezeichnet verschiedene Dimensionen, welche die Entwicklung der Arbeitsorte antrieben. Die erste ist die Ökologie. «Kurz- bis mittelfristig wird eine ressourcensparende und klimafreundliche Arbeitsorganisation erwartet oder gar erzwungen», heisst es. Dies bedeutet, dass die Ressourcen effizient genutzt und die Mobilität auf das Notwendigste eingeschränkt werden. Das heisst kleinere Flächen, grünere Technologie, weniger pendeln.
Für die Unternehmen ist die wirtschaftliche Dimension wichtig. Sie möchten Geld sparen, also reduzieren sie überschüssige Büroflächen und lassen Angestellte im Home-Office arbeiten. Für die Angestellten bedeutet dies allerdings, dass sie geeignete Räume für das Home-Office zur Verfügung haben müssen.
Was die Standorte der Unternehmen betrifft, stellt die GDI-Studie interessante Entwicklungen fest. Mit der Digitalisierung verlagerten viele Unternehmen ihre Standorte ins Umland von Städten. Nun beginnen sie sich wieder auf die Vorteile von Zentren zu besinnen. Diese sind bestens eingerichtet dafür, grosse Menschenmengen aufzunehmen, zu verpflegen und zu unterhalten. Die Deutsche Bank gibt gerade Standorte ausserhalb von Frankfurt auf und verlagert die Arbeitsplätze wieder ins Zentrum.
Globalisierung von Arbeitskraft und Arbeitsort
Die Digitalisierung bringt den Unternehmen auch in Bezug auf die Talente einen Vorteil: «Wenn Unternehmen auf den weltweiten Arbeitsmarkt zugreifen können, werden all jene Positionen, die zur remote-only-Arbeit (Telearbeit, der Autor) geeignet sind, am liebsten mit den weltbesten Kandidaten besetzt», hält die GDI-Studie fest. Der War for Talents («Krieg um die Talente») werde zur Champions League der Supertalente. Ähnlich wie im Fussball entstehe durch die Digitalisierung ein globaler Arbeitsmarkt für Supertalente. Dies führt zu einem «absolut neuen Phänomen in der Arbeitswelt»: der Globalisierung des Arbeitsmarkts ohne Migration von Arbeitskräften. Die Studienautor*innen erwarten dadurch einen «Abbau der globalen Differenzen bei Preisen, Lebensstandards und Ungleichheit». Sprich: Die armen Staaten werden relativ reicher, die reichen relativ ärmer.
Interessant ist, dass diese Entwicklungen völlig unabhängig sind von politischen Entscheidungen. Gewisse Politiker*innen müssen sich vielleicht bald ein neues Thema suchen, wenn die Migration zurückgeht. Sie können sich dann dafür einsetzen, dass die Löhne der Schweizer Bevölkerung nicht zu stark unter Druck geraten.
Heutige Büroarbeitsplätze sind bestens eingerichtet für Bildschirmarbeit. Bereits steht aber der nächste Schritt an: das Metaverse ermöglicht uns, in der virtuellen Welt dreidimensional zu arbeiten (siehe dazu den Artikel «Metaversen: Eintauchen in die virtuelle Realität»). Dafür müssen Büro und Home-Office gerüstet sein. Nicht nur das, auch Gaming wird bei der Arbeit eine zunehmende Rolle spielen. Dabei geht es darum, Elemente aus Computerspielen für die Arbeit nutzbar zu machen (siehe dazu den Artikel «Virtuelle Realität als Instrument zur Schulung von Arbeitnehmenden»).
Schutz der Angestellten
Alles wird flexibler und ungeregelter und du stehst als Arbeitskraft im internationalen Wettbewerb um Talente. «Was heisst das für mich?», wirst du dich vielleicht bange fragen. Die Autor*innen der GDI-Studie haben sich Gedanken zur sozialen Sicherung gemacht. Sie sehen dafür zwei Möglichkeiten: Neue Regeln und Gesetze oder neue Produkte, Services oder Institutionen.
Wenn Regeln und Gesetze weniger greifen, kommt einer Organisation wie Angestellte Schweiz in der neuen Arbeitswelt eine umso wichtigere Rolle zu. Wir sehen es als Auftrag, in den neuen Arbeitswelten für deine soziale Sicherheit zu sorgen – mit unserer Beratung, unseren Dienstleistungen und Angeboten.
Dass Regeln und Gesetze weniger greifen, ist bereits zu beobachten. Als Beispiel nennt die Studie das Home-Office. Im Frühjahr 2020 wurde es pandemiebedingt in vielen Betrieben eingeführt, ohne dass es hinlänglich geregelt war. Auf politischer Ebene gibt es Bemühungen dafür, es kann aber noch dauern. Die Vorstellungen über die Regeln gehen auseinander…
Die Studienautor*innen können sich vorstellen, dass dem Mindestlohn, den Kündigungsfristen oder dem Krankengeld ein ähnliches Schicksal wie dem Home-Office auch bevorstehen könnte.
Default-Regeln statt Gesetze
Man muss vielleicht gar nicht immer den langen Weg über Gesetzesanpassungen gehen. Die GDI-Studie macht einen innovativen Vorschlag, um die soziale Sicherheit zu gewährleisten: Default-Regeln. Darunter können wir uns rechtlich bindende Regeln vorstellen wie Allgemeine Geschäftsbedingungen, oder informellere Regeln wie eine Kleiderordnung bei einem Anlass. «Default-Regeln sind hervorragend geeignet, um Komplexität zu reduzieren», hält die Studie fest. Mit ihnen könne man beispielsweise Lieferdienste ausschliessen, die keinen Tariflohn zahlen. «In der Arbeitswelt könnte dann etwas Ähnliches entstehen wie die Bio- und Fairtrade-Standards, die wir aus der Warenwelt kennen», vergleicht es die Studie.
Das eine tun und das andere nicht lassen. Für Angestellte Schweiz bleiben Gesetze und Regelungen nach wie vor wichtig und relevant. Wir setzen uns weiterhin auch für Gesetze, Gesamtarbeitsverträge und Reglemente zum Schutz der Angestellten ein.
Zentral, dezentral oder dazwischen
Jetzt, nach der Pandemie, ist der Zeitpunkt, an dem die Die Unternehmen einen wichtigen Entscheid fällen müssen: nach welchem Business-Szenario sie sich organisieren. Die GDI-Studie sieht drei Möglichikeiten.
Im Szenario «Corporate Revival» (in etwa: Wiedergeburt des Betriebs) kehrt man zur traditionellen Organisation zurück. Hier «wird das Arbeitsumfeld in erster Linie geprägt durch zentral getroffene Entscheidungen (mit Betonung auf Kontrolle des Indisviduums) und den Einsatz zentraler Systeme (wie MS Teams)». Das Home-Office wird wieder abgeschafft. Auf mittlere und längere Sicht dürften solche Betriebe gemäss GDI unterdurchschnittlich wachsen, da der Kreis der in Frage kommenden Mitarbeitenden stark eingeschränkt sei. In der Champions League «spielen diese Unternehmen nicht mit».
Das Szenario «Super-Gig-Economy» (in etwa: Super-Auftritt-Balance) ist das genaue Gegenteil des «Corporate Revival». Das Arbeitsumfeld wird «geprägt durch dezentral getroffene Entscheidungen (mit Betonung auf der Freiheit des Individuums) und den Einsatz dezentraler Systeme (wie Slack, Zoom oder Whatsapp)». Die Super-Gig-Struktur bietet sich an bei intensivem Wettbewerb um wenige Fachkräfte.
Das Szenario «Work-Game-Balance» (Arbeit-Spiel-Balance) stellt den goldenen Mittelweg dar. «In diesem Szenario steht insbesondere der Team-Charakter im Vordergrund, wobei sich die Gemeinschaft in erster Linie auf Themen und Vorlieben stützt, weniger auf physisches Zusammenkommen.» In dieser Struktur sehen die Studienautor*innen ein hohes Wachstumspotenzial.
Die Unternehmen werden sich mehr oder weniger in eines der Szenarien einordnen, wobei zu erwarten ist, dass die meisten eine Work-Game-Balance anstreben werden.
Büroarbeit erhält eine neue Qualität
Wie auch immer die Büroarbeit 4.0 aussehen wird, für die Gestaltung der Arbeitsplätze ergeben sich für das GDI zwei Folgerungen:
- «Der Stuhl ist der neue Tisch». -> Zentrales Möbelstück wird der Stuhl, und zwar nicht der herkömmliche Bürostuhl, sondern der «Gaming Chair» (Spielerstuhl), in dem man lange bequem sitzen kann.
- «Der Arbeitsplatz wird plural» -> Das Konzept der unterschiedlichen Arbeitsorte und der Büros mit unterschiedlichen Arbeitsbereichen wird sich durchsetzen (vgl. dazu auch den Beitrag «Das Büro der Zukunft»).
Durch diese Entwicklungen erhält die Arbeit im Büro des Betriebs eine neue Qualität. Sie wird weniger sein, da wir auch an diversen anderen Orten arbeiten werden. Die eigentliche Büroarbeitszeit wird darum aufgewertet. Büros werden vermehrt zu einem Ort, an dem man sich begegnet und austauscht – entsprechend müssen sie eingerichtet sein (siehe dazu den Artikel «Ich bin auch ein Wohnzimmer - das Büro nach Corona»).
Wenn es den Unternehmen gelingt, ihre Angestellten auf die Reise an den Büroarbeitsplatz 4.0 mitzunehmen, dann werden sie dort auch ankommen und produktiv sein. Selbstverständlich kannst du dich auch auf Angestellte Schweiz verlassen. Wir stehen dir in den neuen Arbeitswelten mit Rat und Tat zur Seite.
Hansjörg Schmid