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Bauch, Verstand oder Algorithmus – wer trifft bessere Personalentscheide?

Künstliche Intelligenz hält Einzug in die Personalauswahl. Was bedeutet dies für die Qualität der Personalentscheide? Was heisst es für Teamleitende und Bewerber*innen?

Yannick ist Leiter eines Teams von Softwareentwickler*innen. Dort fehlt eine Person für das Test Engineering. Zusammen mit der Personalabteilung formuliert er ein Stelleninserat. Die beruflichen Qualifikationen sind schnell definiert. Die Bestimmung der erforderlichen persönlichen Kompetenzen findet Yannick schwierig. Er entscheidet sich schliesslich für Eigenschaften, die er an sich selbst und den anderen Teammitgliedern schätzt.

Der Bewerbungsprozess nimmt seinen Lauf und zum Schluss stehen zwei Kandidat*innen zur Auswahl. Beide sind beruflich hervorragend qualifiziert. Yannick schätzt Jasmin als eine stille, introvertierte Person ein, die genau arbeitet. Von Irina hat er den Eindruck, sie sei wie er selbst: gesprächig und durchsetzungsstark. Der Entscheid fällt ihm nicht leicht, aber er ist überzeugt, mit Irina die richtige Wahl getroffen zu haben. „Wer ähnlich tickt wie ich, kann für dieses Team nicht falsch sein“, denkt er sich.

Die Zusammenarbeit läuft bestens an, Irina leistet gute Arbeit. Yannick stört lediglich manchmal, dass sie viel mit den anderen Teammitgliedern quatscht und scherzt. Aber er behält Irina selbstverständlich nach der Probezeit.

Böses Erwachen

Das hätte er besser nicht, denkt sich Yannick einige Monate später. Irina nimmt es mit der Sorgfalt nicht so genau, stellt seine Entscheide zunehmend in Frage und ist mit ihren Aufgaben nicht zufrieden. Sie möchte selbst entscheiden und gestalten. Dummerweise ist das für diese Stelle nicht vorgesehen.

Man kann sich denken, wie es mit Yannick und Irina weitergeht. Die Reibungen nehmen zu, die Produktivität sinkt und irgendwann knallt es. Dann geht die Suche nach einem neuen Teammitglied nach kurzer Zeit wieder los.

Was ist schiefgelaufen? Yannick war mit dem Entscheid überfordert und hat sich aus dem Bauch heraus für Irina entschieden – weil sie ihm ähnlich ist. Nun muss er feststellen, dass für den Job eine stille Schafferin wie Jasmin vielleicht besser gewesen wäre.

Was Yannick unterlaufen ist, passiert häufig. Solche Fehlbesetzungen kosten die Unternehmen sehr viel Geld.

Bekannte harte, unbekannte weiche Faktoren

Wie kann es Yannick beim nächsten Mal besser machen? Statt mit dem Bauch mit dem Verstand entscheiden? Mit einigem Nachdenken hätte er ja draufkommen können, dass es mit Irina zu Reibungen kommt. In unserem vereinfachten Beispiel ist das leicht nachzuvollziehen. Menschen sind aber vielschichtig und Yannick hätte neben den erwähnten Eigenschaften noch unzählige weitere berücksichtigen müssen, um eine rationale Entscheidung zu fällen. Sein Problem jedoch ist, dass er die meisten dieser vielen Eigenschaften nicht wirklich kennt. Nur wenige waren aus den Bewerbungsunterlagen ersichtlich oder kamen bei den Bewerbungsgesprächen zur Sprache.

Dieses Problem ist verbreitet. Man kennt von den Jobkandidat*innen die sogenannten harten Faktoren, die beruflichen Qualifikationen, sehr genau. Sie sind ja in den Bewerbungsunterlagen aufgeführt. Die weichen Faktoren hingegen sind weitgehend unbekannt. Diess persönlichen und die sozialen Kompetenzen sind für den Job aber mindestens so wichtig, wie die beruflichen. Sie werden sogar zunehmend wichtiger, finden viele Human-Resources-Expert*innen.

Die harten Faktoren können gut mit dem Verstand beurteilt werden. Die Datenmenge ist überschaubar und die Angaben lassen kaum Interpretationsspielraum offen. Diesbezüglich hatte Yannick leichtes Spiel.

Das Problem der grossen Datenmenge

Wie gelingt es Yannick bei den weichen Faktoren? Wir erinnern uns: er hat für das Stelleninserat einige Kompetenzen festgelegt. Weil er nicht recht wusste, was wählen, orientierte er sich an sich selbst und den anderen Teammitgliedern. Das ist nicht falsch, schliesslich muss die neue Person ins Team passen. Wichtiger aber ist, dass die Kompetenzen zum Job passen. Wären sie bereits im Stelleninserat aufgeführt gewesen, hätte Yannick aus den Bewerbungsunterlagen ein besseres Bild der Kandidat*innen erhalten. Mittels eines strukturierten Interviews hätte er dieses in den Bewerbungsgesprächen abrunden können.

Selbstverständlich steht in den Unternehmen einem Teamchef wie Yannick die Personalabteilung mit ihrer Expertise zur Seite. (Wir haben dies ausgeklammert, um das Beispiel einfach zu halten.) Allenfalls wird auch ein Assessment Center beigezogen, um die persönlichen Kompetenzen von Kandidat*innen gründlich ermitteln. Solche kommen vor allem bei der Besetzung von Schlüsselstellen zum Einsatz. Für die ausgeschriebene Test-Engineering-Stelle wäre die Kosten dafür kaum zu rechtfertigen gewesen.

Hätte Yannick nun mit wesentlich mehr Informationen mit seinem Verstand einen besseren Entscheid als mit seinem Bauch fällen können? Leider kaum. Es fällt uns Menschen nämlich sehr schwer, mit dem Verstand grosse Mengen von Daten zu erfassen und zu analysieren. „Intelligente Korrelations- und Kausalitätsketten zu erkennen, ist dem Menschen nur bedingt möglich“, schreibt der Personalvermittler Coople auf seiner Website. Hätte Yannick das für eine grosse Menge von Bewerber*innen machen müssen, wäre er zudem nur noch damit beschäftigt gewesen. Letztlich hätte er doch wieder den Bauch zu Rate ziehen müssen…

Kann ihm die künstliche Intelligenz weiterhelfen?

Erste Gehversuche

Künstliche Intelligenz (KI) einzusetzen ist in der Tat eine bestechende Idee. Sie schafft es problemlos, mit vielen Daten umzugehen sowie Muster und Zusammenhänge zu erkennen.

KI wird für die Personalauswahl bereits eingesetzt. So hat Amazon mit Algorithmen nach Personen gesucht, deren Eigenschaften und Qualifikationen denen der erfolgreichsten Mitarbeitenden am meisten ähnelten. Das ging allerding schief, weil sich das Programm an der bisherigen, mehrheitlich männlichen, Belegschaft orientierte und Frauen ausschied. Algorithmen sind immer nur so gut, wie man sie programmiert.

Andere Systeme versuchen, die Eignung von Kandidat*innen aus Textproben oder der Mimik von Bewerbungsvideos abzulesen Oder aus den Erfolgen bei Videospielen.

„Generell lässt sich die Frage stellen, ob genügend und qualitativ ausreichende Daten über die Belegschaft in den Unternehmen vorhanden sind, auf deren Basis sich solche Systeme bauen lassen“, schrieb die Frankfurter Allgemeine vor zweieinhalb Jahren zum Thema KI für die Personalauswahl. Da ist man mittlerweile weiter. Systeme, welche die weichen Faktoren mittels Algorithmen erfassen, auswerten und einordnen, haben Marktreife erreicht. Sie arbeiten zum Beispiel auf der Grundlage des bei der Personalauswahl häufig verwendeten DISG-Modells von Menschentypen (siehe dazu den Artikel „Wie tickst du bei der Arbeit?“).

Keine Angst vor dem Algorithmus

Wird also bald schon der Algorithmus entscheiden, ob ich die Stelle bekomme, für dich ich mich beworben habe? Ist das ethisch vertretbar? Wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind, dann ist aus Sicht von Angestellte Schweiz der Einsatz von Algorithmen zu rechtfertigen. Er kann sogar von Vorteil für Jobbewerber*innen sein.

Die Bedingungen sind:

  1. Der Algorithmus muss zweckdienlich, fehlerfrei und zuverlässig funktionieren.
  2. Das System muss neutral sein, es darf weder diskriminieren noch werten noch Daten erfassen, die nicht dem Zweck dienen.
  3. Alle Daten müssen vertraulich behandelt werden.
  4. Das System muss sowohl die Kompetenzen von Kandidat*innen als auch von den Teamkolleg*innen am künftigen Arbeitsort erfassen und abgleichen. Die Information darüber soll symmetrisch erfolgen.
  5. Der endgültige Entscheid über eine Einstellung wird immer von einem Menschen gefällt, nie von einer künstlichen Intelligenz.

Sind diese Bedingungen erfüllt, dann braucht niemand Angst davor zu haben, dass ein Algorithmus am Entscheid mitbeteiligt ist, ob jemand einen Job bekommt. Kandidat*innen dürfen sogar davon ausgehen, dass die Arbeitsstelle dann perfekt passt.

Soll Yannick bei der nächsten Stellenbesetzung also besser einem Algorithmus vertrauen als seinem Bauchgefühl und seinem Verstand? Nicht nur, alle drei sind wichtig. Bezüglich der harten Faktoren stützt er sich weiterhin am besten auf seinem Verstand ab. Mit Hilfe der Daten, die ihm der Algorithmus liefert, kann er sich ein präzises Bild von den persönlichen Kompetenzen der Kandidat*innen machen und herausfinden, wie gut diese zum Job und zum Team passen. Dieses muss er ergänzen es mit dem Eindruck, den er aus den Bewerbungsunterlagen und den Bewerbungsgesprächen gewonnen hat. Nun wird er ein anderes Bauchgefühl haben als vorher, und es wird ihm mithelfen, die richtige Entscheidung zu fällen.

Hansjörg Schmid

Donnerstag, 06. Okt 2022

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